Die Opernrarität "L'amico Fritz"

Mascagnis "Anti-Cavalleria"

Vor 120 Jahren in Rom uraufgeführt: "L'amico Fritz", die anti-veristische Perle unter Pietro Mascagnis Opern nach "Cavalleria rusticana". "L'amico Fritz" ist selten zu hören, selten aufgenommen, aber ein Kennenlernen wert.

Nur kein zweites Mal "Cavalleria"!

Wenn Pietro Mascagni auf Stoff-Suche war, sollte es immer so weit weg von "Cavalleria rusticana" führen wie nur möglich. Textlich etwas vom Mode-Poeten Gabriele d'Annunzio in die Finger zu bekommen, galt als größte Auszeichnung, und während der Mascagni-Schüler Riccardo Zandonai bereits an seiner d'Annunzio-Oper "Francesca da Rimini" arbeitete, gelang es auch Mascagni selbst: Gabriele d'Annunzio schrieb ihm eigenhändig das Libretto für "Parisina", eine der düster dräuenden Renaissance-Geschichten, in denen d'Annunzio so gerne schwelgte, mit exquisiten Worten, denen Mascagni - es war in den 1910er Jahren - mit schweifender Melodik und unsteter Harmonik Adäquates zur Seite zu stellen versuchte.

Es war im Grunde die Triebfeder seines kompletten Opernschaffens: sich nur ja nicht zu wiederholen, thematisch wie musikalisch, der Welt zu zeigen, dass er mehr konnte als "Cavalleria rusticana" zu schreiben, den Welterfolg, der für ihn früh gekommen war, vielleicht zu früh.

Alternder Bohèmien und rosiges Landmädel

Vor 120 Jahren, ein Jahr nach "Cavalleria rusticana", brachte Pietro Mascagni eine Oper auf die Bühne des römischen Teatro Costanzi, aus der man heute gerade noch das eine Stück kennt, das sich mit seinen eingängigen Melodien zum Galakonzert-Hit verselbständigt hat: "L'amico Fritz", "Freund Fritz", die Oper mit dem zart ausschwingenden "Kirschenduett". Eine Szene wie die brachial auffahrende zwischen Santuzza und Turiddu, mit Santuzzas Fluch am Ende: "A te la mala pasqua!", wäre hier vollends undenkbar.

"L'amico Fritz" also: die Anti-"Cavalleria". Fritz, im deutschen Elsass, ist ein nicht mehr ganz junger reicher Mann, Gutsbesitzer, ein Beruf ist nicht erkennbar. Als eingeschworener Junggeselle führt er ein Bohème-Leben mit seinen Freunden und ist darauf auch noch stolz. Dann aber erwischt es auch ihn, wie er die junge, für ihn fast noch zu junge Suzel, die "Susi", am Land beim Kirschenpflücken beobachtet. Es entspinnt sich ein Dialog - worum eigentlich? Egal! Eine Aufnahme, die die Ruhe und Süße dieser pastoralen Szene wunderbar einfängt, ist 1968 in London entstanden und die Standard-Einspielung bis heute geblieben: mit Luciano Pavarotti und Mirella Freni und dem gerne unterschätzten Gianandrea Gavazzeni am Dirigentenpult des Covent-Garden-Orchesters.

Wie der Rabbi aus "Freund Fritz" verschwand

Es gibt einen Fädenzieher hinter der Geschichte zwischen Fritz und Suzel, die nach einer gehörigen Portion Melancholie und manchen Tränen nach rund 90 Opernminuten zu einem Ende zu zweit gebracht wird: den Rabbiner David. Als Italien 1938 die deutschen Rassengesetze übernahm und "Freund Fritz" nach wie vor in der Publikumsgunst stand, machte man aus ihm einen Arzt.

Und 1942 bekam Pietro Mascagni, bald 80, die Chance, "L'amico Fritz" in Turin vor Radiomikrophonen komplett zu dirigieren. Mit einer Sängerin, einem Sänger in den Hauptrollen, die bereits ein Paar waren: Pia Tassinari - Ferruccio Tagliavini. Übrigens: So wie Tagliavini den Fritz singt, so kantabel und feinsinnig, könnte man meinen, Mascagni hätte 1891 an Vinzenzo Bellini angeknüpft!

Von Emma Calvé zu Gheorghiu-Alagna

Fritz ist überstürzt aufgebrochen nach der Szene unterm Kirschbaum, zurück in die Stadt, er glaubt, Suzel zu vergessen - wollte er nicht ein Leben lang Junggeselle bleiben? Aber es geht nicht. In dieser Situation kündigt sich Suzels Vater an, vom Gutsherrn Fritz die Zustimmung einzuholen für die Heirat seiner Tochter mit einem Mann aus dem Dorf. Als "Vorhut" kommt Suzel selbst, mit einer Schale Obst für Fritz...

Leidenschaftlich fleht sie ihn an, sie zu bewahren vor der ungeliebten Verbindung - leidenschaftlich und nun doch mit veristischem Applomb! Endlich kann, darf er ihr seine Liebe gestehen, und bald hat die Opernwelt ein verheiratetes Paar mehr.

Die jüngste Aufnahme, in der sich auch diese Szene nachhören lässt, stammt aus der Deutschen Oper Berlin, wo 2008 Roberto Alagna und Angela Gheorghiu für die Hauptrollen aufgeboten waren - denn man kann, man darf Pietro Mascagnis "Freund Fritz" nur spielen, wenn ein rollendeckendes, gleichwertiges Sopran-Tenor-Paar zur Verfügung steht, so wie bei der Uraufführung zwei Stars der Ära: Emma Calvé und Fernando De Lucia, dessen Karriere signifikanterweise im Belcanto-Fach begonnen hatte.

Mahler war "Freund-Fritz"-Fan

Pointe am Rande: Fünf Librettisten hat Pietro Mascagni gebraucht für "L'amico Fritz", und dann kam ihm am Bahnhof der Koffer mit dem fertigen Text abhanden, und er musste sich den dritten Akt selbst aus dem Gedächtnis noch einmal schreiben - so heißt es zumindest - und das, wo doch Mascagni für seine erste Oper nach "Cavalleria rusticana" ausdrücklich ein "schlichtes" Libretto wollte, das "kaum Handlung hat".

Und noch ein Apropos: Gustav Mahler war ein Fan von "Freund Fritz", er dirigierte das Werk gleich im Jahr nach der Römischen Uraufführung in Hamburg und bildete sich sogar ein, mit Mascagni wesensverwandt zu sein…

Service

Pietro Mascagni, "L'amico Fritz"

Luciano Pavarotti, Mirella Freni, London 1968, Leitung: Gianandrea Gavazzeni, Decca

Roberto Alagna, Angela Gheorghiu, Berlin 2008, Leitung: Alberto Veronesi, DG

Ferruccio Tagliavini, Pia Tassinari - Radio Turin 1942, Leitung: Pietro Mascagni, Cetra

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