Alles wird verwertet
Sauschlachten
Erich Kleins Eltern betrieben in den 1960er/70er Jahren eine kleine Nebenerwerbslandwirtschaft. Ein, zwei Mal im Jahr wurde eine Sau abgestochen. Es war ein besonderer Tag.
8. April 2017, 21:58
Nicht nur im Leben des Schweins war es ein besonderer Tag - man kannte es praktisch von Geburt an, ja von der Zeugung an: Letzteres hieß am Dorf "Saubären". Da waren die rosa Ferkel unter der Ferkellampe gewesen, bedroht, von der Sau erdrückt zu werden; das Schweinefutter, der sogenannte Sautrank, wurde regelrecht gekocht: Erdäpfel gedämpft, mit Schrot vermischt, Küchenabfälle landeten direkt im Futtertrog der Schweine.
Die Tiere wurden gut behandelt, selbst wenn der Fleischhauer sie abholte, wurde keines beim Verladen auf den Tiertransporter geschlagen. Am Tag des Sauabstechens war alles anders: Auf einem Hackstock waren scharf geschliffene Messer fein säuberlich aufgereiht, daneben der Schussapparat. Neben dem Trog stand eine Reihe von Kübeln mit siedend heißem Wasser. Der Hof war von Dampf erfüllt.
Töten und ausbluten
Wenn die Sau an einem Strick aus dem Stall in den Hof getrieben wurde, machte ich mich aus dem Staub: neugierig einerseits, und andrerseits voller Angst, das ohrenbetäubende Quieken und dann gellende Schreien des Schweins noch länger hören zu müssen, das selbst zu verstehen schien, was jetzt kam: Meist verschwand ich in der Tiefe des Hauses hinter möglichst vielen Türen. Bisweilen habe ich auch direkt zugeschaut. Es war eine Überwältigung: Der mitten an der Stirn der Sau angesetzte Schussapparat wurde mit einem knappen Stoß ausgelöst: Ein Zucken ging durch das Tier - in einer abrupten Konvulsion schien es emporgehoben zu werden, die Beine streckten sich, es fiel seitlich um. Noch ein kurzes Grunzen, dann Stille.
Es folgten akkurate Handgriffe: Der Schlachter nahm schnell ein Messer, schnitte quer in die Gurgel der Sau, ein Helfer hielt eine Schale unter - das Blut schoss dunkelrot, fast schwarz aus dem Hals, die Öffnung wurde erweitert, manchmal spritzte Blut auf die herumstehenden Männer. Üblicherweise kam ich in diesem Moment in den Hof zurück, wo es ausschließlich nach Blut roch.
Der Abfall für die Hühner
Das Schwein wurde in den Trog gehievt, mit kochendem Wasser übergossen, mithilfe einer Kette wurde der schwere Körper im Trog mehrmals um seine eigene Achse gedreht: Der Schlachter begann, sein Messer an der Klinge haltend, breitflächig die Borsten vom Schwein abzuschaben: Gepritschel und Gepantsche im blutigen Wasser; leichter als bei einer Rasur lösen sich die Borsten von der Schwarte, auch in den Achselhöhlen.
Das Gesicht der geschlachteten, schneeweißen Sau wirkt mit den hervorschauenden Zähnen, als würde sie grinsen - zufrieden, als wäre sie ihrer Bestimmung zugeführt worden. Das Schwein wird in der Mitte zerteilt, die Innereien werden herausgeschnitten, Gedärm quillt heraus, es stinkt nach Scheiße. Die beiden Schweinehälften, mit Wasser gereinigt, werden schließlich herabgenommen; die herumstehenden gackernden Hühner bekommen diversen Abfall - die Augen etwa, die als einer der wenigen Bestandteile nicht verarbeitet werden.
Jetzt folgt der Hauptteil des Sauabstechens: das Zerteilen des Fleisches. In dem Waldviertler Dorf, von dem hier die Rede ist, verging im Herbst vermutlich keine Woche, in dem nicht bei zwei, drei Bauern abgestochen wurde. Heute wird zu Hause nicht mehr geschlachtet - weil es erstens kaum mehr Bauern mit Schweinehaltung gibt; weil die EU-Vorschriften für Hausschlachtungen, so die Bauern, äußerst kompliziert sind; und jene, die noch ihr Fleisch zum Eigengebrauch produzieren, lieber bei einem Fleischhauer abstechen lassen: Das kostet zwanzig, dreißig Euro und man erspart sich die mühevolle "Drecksarbeit". Dort geschieht alles im Akkord und mit Maschinen.
Das Schlachten am Bauernhof erfolgte meist in der kühleren Jahreszeit, im Herbst, auch wenn es ab den 1960er Jahren in österreichischen Dörfern genossenschaftlich organisiert Kühlhäuser gab - vor der Verbreitung der Gefriertruhe im privaten Haushalt erst ein Jahrzehnt später. Damals musste alles rasch gehen - vor allem bei warmem Wetter: Die einzelnen Fleischstücke wurden auf handliche, kochfertige Größe zerteilt, in Plastiksackerln verpackt, diese beschriftet, das Ganze landete im Kühlhaus.
Grammeln und Blunzn
Spektakulärer war jener Vorgang, der fast den aufwendigsten Teil der ganzen Arbeit darstellte: das sogenannte "Auslassen" des Specks, die Gewinnung von Schmalz. Mit Schmalz wurde gekocht, es war vor der Einführung der anderen Fette in der Küche geradezu lebensnotwendig: Schweine wurden bis auf eine Gewicht von 250/270 Kilogramm gemästet, um dicke Speckschichten zu bekommen.
Die Großmutter, die Tante, ein Nachbarin und die Mutter saßen stundenlang in der Küche und zerschnitten die unterarmstarken Streifen Speck zuerst in kleinere Bahnen und dann auf die Größe von Würfeln, die schließlich die Grammeln ergaben. Der Eiweißrest im Speck. Berge davon wurden in riesigen Geschirren auf dem Holzofen unter Umrühren erhitzt, zum Schmelzen gebracht, die braunen Grammeln wurden abgeschöpft und in eigene Töpfe gehievt, das flüssige Fett in ein zwanzig Liter fassendes Blechgeschirr (die sogenannten Schmalz-Testen) geleert. Daraus wurde nach einigen Tagen Abkühlens in der Speisekammer schließlich das Schmalz, schneeweiß und makellos.
Verarbeitet wurde praktisch alles: Das Blut wurde - mit Weißbrotstücken oder Reis und kleinen Speckstücken zu Blutwurst (zur "Blunzn") aufgekocht, und in penibel gesäuberten Schweinedärmen abgefüllt; Innereien wie Leber, Niere oder Hirn wurden entweder noch am Tag des Sauabstechens oder an einem der Folgetage verkocht.
Bratwürstel, Geselchtes, Sulz und anderes
Die sonderbarste, fast rituelle Mahlzeit (bei einem Vorgang, der heute schon wie aus einem ethnographischen Film anmutet) waren die gekochten Schwarten, die "Schwattln": die etliche Millimeter dicke Haut des Schweins, nur gesalzen und gepfeffert, wurde mit Schwarzbrot gegessen. Auf dem Teller blieb eine kleine schillernde Wasserlacke zurück.
Bratwürstel, Geselchtes, Sulz und diverse Sorten von aufwendigem Speck (Paprikaspecke etwa) entstanden im Lauf der Woche, wenn der Geruch des ausgelassenen Schmalzes allmählich wieder aus der Küche wich: Dann war auch eine Sensation des Sauabstechens schon fast wieder vergessen: Die Saublase, die der Großvater nach dem Sauabstechen mit einem Strohhalm sorgfältig zu Luftballongröße aufgeblasen hatte, war in einen pergamentartigen Zustand übergegangen: die Luft entwichen, als zerknittertes Säckchen lag sie dann in einer Ecke des Hofes, und eine der Katzen tappte mit ihrer Pfote gegen den mysteriösen Gegenstand, an dem ein Stück Spagat hing.
Das Kind - das heißt ich - lief in die Speiskammer, öffnete das Gefäß mit Schmalz, nahm einen Löffel und strich das Schmalz aufs Brot. Erst wenn der Grund des Topfes erreicht war und ein bräunlicher Bodensatz zum Vorschein kam, war klar, dass es demnächst wieder so weit sein würde - für das Sauabstechen.