"Kein Roman" von Joachim Lottmann

Hundert Tage Alkohol

"Mir war klar, wenn ich nach Österreich komme, dann kann ich da nichts werden, wenn ich keinen Alkohol trinke." Eigentlich verträgt Joachim Lottmann keinen Alkohol. Das Trinken hat er sich in Österreich erst mühsam angeeignet. Seit einigen Monaten lebt der Autor in Wien. Den hiesigen Gepflogenheiten hat er sich umgehend angepasst.

"Die Wiener haben auch sehr viel Geld, deshalb können sie auch so viel Alkohol trinken", glaubt Joachim Lottmann. "Die Taschen, da klimpert immer das Geld und die dicken Scheine und dann können sie saufen bis zum Umfallen. In Deutschland haben sie alle Hartz IV und sie müssen sich an einer Cola den ganzen Abend festhalten."

Auch der Protagonist in Joachim Lottmanns Buch "Hundert Tage Alkohol" zieht nach Österreich, allerdings nicht freiwillig. Der Autor aus Berlin-Mitte wird von einer Kollegin wegen sexueller Nötigung angezeigt und flieht nach Wien, um einem Prozess zu entgehen. Hier scheint sich niemand für seine Vorgeschichte zu interessieren, im Gegenteil. Als berühmter deutscher Schriftsteller wird er gierig empfangen und sogleich in die einschlägige Szene eingeführt, sprich: ins Café Anzengruber, wo sich die selbsternannte Wiener Bohème täglich trifft.

Nach dem Aufstieg kommt der Fall

Um seinen Alkoholspiegel an das Niveau der Wiener anzugleichen, unterzieht sich der Autor einer hunderttägigen Trinkkur. Die Strategie scheint aufzugehen: Im Schwall der allabendlichen Trinkgelage wird er ganz nach oben gespült. Innerhalb kürzester Zeit wird er vom Bundespräsidenten abwärts allen wichtigen Personen vorgestellt. Stimmen, die ihn vor einem jähen Niedergang warnen, verhallen.

"Er wird gewarnt, dass seinem märchenhaften Aufstieg ein umso brutalerer und niederträchtigerer Fall folgen wird", so der Autor. "Aber das ist ihm eigentlich relativ egal, weil eine schöne Sache haben und dann wieder verlieren ist besser, als wenn es die schöne Sache überhaupt nicht gibt. Und in Deutschland gibt es halt so eine großbürgerliche Bohème schon wirklich seit Beginn dieses Jahrtausends nicht mehr."

Man geht auf Vernissagen, Buchpräsentationen und andere Kunst-Happenings. Man quält sich durch stundenlange, missratene Aufführungen am Burgtheater, um dann später den Schauspielern zu gratulieren und sich gemeinsam ins Koma zu trinken.

Freunde und literarische Figuren

"Hundert Tage Alkohol - Kein Roman" ist eine Art Erlebnisaufsatz über Lottmanns Ankunft in Wien. Mit gewohnt subtiler Ironie verdichtet er teils reale, teils frei erfundene Begegnungen zu einer pointierten Sozialstudie. Dabei spart er nicht mit Namen: Die Danksagung an all seine Wiener Freunde und Freundinnen liest sich fast wie ein Verzeichnis der auftretenden Figuren, von Doris Knecht über Angelika Hager bis zu Thomas Glavinic. Leider stößt er bei den Betroffenen nicht auf das erhoffte Feedback, beteuert Lottmann:

"Ja leider reagieren die gar nicht so, wie ich dachte. Also ich hatte das ja wirklich für diese Leute gemacht. Weil man mir gesagt hat, die Österreicher, die freuen sich, wenn sie im Buch vorkommen. Es gibt für die nichts Schöneres. Der höchste Wert, den ein Mensch erreichen kann, ist, wenn er sich Schriftsteller nennen kann. Und der zweithöchste Wert ist, wenn er eine literarische Figur geworden ist. Hat man mir alles so immer wieder gesagt. Und dann hab ich möglichst viele meiner Freunde zu literarischen Figuren gemacht und die reagieren alle negativ. Thomas Glavinic möchte jetzt Leute aus dem Balkan engagieren, dass sie mir die Kniescheibe brechen."

In seiner bewährten Manier des "Zu-Tode-Lobens" lässt Joachim Lottmann seine Schriftstellerkollegen oft ganz schön dumm dastehen. Das Buch gerät zu einer verschrobenen Karikatur der Wiener Kulturszene. Ob sich das auch einem nicht eingeweihten Leserkreis erschließt, ist allerdings fraglich. Zumindest für die Journalisten seien die zahlreichen Anspielungen auf reale Akteure und Vorkommnisse ein gefundenes Fressen, meint Lottmann:

"Das interessiert die Journalisten immer, wenn sie etwas wiedererkennen. Dann schreiben sie gleich ganz gerne drüber. So nach dem Stichwort: Achtung Schlüsselroman. Die lesen das quer, ob sie irgendwo was finden, wo sie dann sagen können, guck mal hier, den hat er jetzt fertig gemacht. Also kein Journalist hat Lust, die politische Botschaft zu besprechen."

Aus 100 werden 50

Die politische Botschaft ist freilich hinter all der Ironie nur schwer auszumachen und wahrscheinlich noch nicht ganz ausgereift. Ebenso die Erzählung selbst, die relativ abrupt schon nach 50 Tagen endet.

"Weil nach 50 Tagen passierte ein Malheur", erklärt Lottmann. "Man hat mich von dem Schloss, in dem man mich als Gast der Republik Österreich untergebracht hatte, weggetan mit guter Absicht und wollte mich dann genau ins Zentrum, in den ersten Bezirk verpflanzen. Weil meine Gönner, die rund um den Bundespräsidenten Heinz Fischer angesiedelt sind, haben halt gesagt, er kommt von der Peripherie und von da direkt ins Zentrum, also der Aufstieg muss auch seine geografische Entsprechung haben. Und dann war ich eben in der Bäckerstraße im ersten Bezirk in so einem Haus, das 800 Jahre alt ist, und da konnte ich nicht mehr schreiben."

Seine Schreibblockade baut Lottmann ganz einfach ins Handlungsgerüst und der Roman erscheint dennoch. Viel passiert also nicht auf den insgesamt 162 Seiten. Dass das Buch dennoch kurzweilig und amüsant zu lesen ist, verdankt es Lottmanns feiner Formulierungskunst.

"Mein Verleger, Dr. Benedikt Maria Föger, gleichzeitig Präsident des Österreichischen Verlegerverbandes, hat es nicht gemerkt, dass das nur die Hälfte der verabredeten Seiten war", amüsiert sich Lottmann. "Offenbar schreiben die Österreicher nicht so viel, wie ich es gewohnt bin. Und so dachte er, jetzt ist der Roman fertig und hat ihn schnell drucken lassen.

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Joachim Lottmann, "Hundert Tage Alkohol. Kein Roman", Czernin Verlag

Czernin - Hundert Tage Alkohol