Walter Arlen

APA/GEORG HOCHMUTH

Walter Arlen im Gespräch

Zur Erinnerung an die Novemberpogrome

"Wir sind nicht emigriert - wir wurden hinausgeschmissen", sagte der Komponist und Musikwissenschaftler Walter Arlen mit Nachdruck. Das Wort Emigration "geniert" und ärgert ihn bis heute. Im Rahmen der Gedenkveranstaltung des Wiener Volkstheaters an die Novemberpogrome 1938 im Jahr 2011 sprach Michael Kerbler mit Walter Arlen in der Reihe "Im Gespräch live".

Arlen in Wort und Ton

"Ich bin legally blind", sagte der kleine, alte Herr, der immer wieder zwischen Wienerisch und amerikanischem Englisch wechselt über sich. Der offiziell attestierte Verlust seiner Sehkraft hinderte Walter Arlen freilich nicht, mit verblüffender Schärfe auf die Ereignisse seiner Kindheit und Jugend zurückzublicken. Der 91-Jährige stand am Sonntag, 6. November 2011 im Mittelpunkt der Gedenkveranstaltung an die Novemberpogrome 1938 im Volkstheater. "Musik als Gedächtnis" hieß das von Michael Kerbler moderierte Gesprächskonzert, bei dem auch einige Lieder erklangen, die Arlen bereits als Bub geschrieben hatte.

Frühkindliche Prägung

Sein musikalisches Erweckungserlebnis beschrieb der als Walter Aptowitzer in Wien-Ottakring geborene spätere Musikwissenschafter, Komponist und Musikkritiker ungewöhnlich: Im großelterlichen Kaufhaus am Brunnenmarkt, dem "Warenhaus Dichter", hatte ein Verwandter, der später in den USA als Psychologe zum "Vater der Motivforschung" gewordene Ernest Dichter, eine Grammophonanlage zur Musikbeschallung installiert - eine unerhörte Innovation in der damaligen Zeit. "Mir hat das so gefallen, dass ich die Lieder mitgesungen habe." Damals darunter: das populäre Wienerlied "Wenn die letzte Blaue geht", das er im Jahr 2000 als eine seiner letzten Kompositionen paraphrasierte.

Verordnete Kaufmannskarriere

Das Gesangstalent des Buben war so auffällig, dass er als Fünfjähriger dem später als Verfasser des Schubert-Werksverzeichnisses berühmt gewordenen Musikwissenschafter Otto Erich Deutsch vorgestellt wurde. Dieser konstatierte absolutes Gehör und empfahl Klavierstunden und Musikausbildung. Doch weder diese Expertise noch Konzert- und Opernerlebnisse an der Seite seiner Eltern begründeten - von Klavierstunden abgesehen - eine solide musikalische Ausbildung. "Ich war für die Übernahme der Leitung im Warenhaus vorgesehen. Als ich mit 15 endlich den Mut hatte, meine Eltern nach Stunden in Harmonielehre und Komposition zu fragen, war die Antwort: Mach' zuerst deine Matura!"

Die Katastrophe des Jahres 1938

Doch mit dem "Anschluss" wurde alles anders. Schon in der Nacht auf den 13. März 1938 drangen SA-Männer plündernd in die elterliche Wohnung ein, misshandelten den Buben und verhafteten dessen Vater. Für die Familie begann ein Martyrium aus Demütigungen, Verfolgung, Enteignung und Repressalien. Dank US-amerikanischer Verwandter gelang dem 18-Jährigen ein Jahr danach die Ausreise in die USA. Dort begann er unter neuem Namen, sich eine Existenz aufzubauen, "aber mit der Musik war zunächst einmal Schluss". Die Unterstützung der Familie Pritzker sicherte das ökonomische Überleben: "Fanny Pritzker hat ihrem Pelzhändler gesagt: Give him a job. Und er hat geantwortet: Yes, Mrs. Pritzker."

Der Weg zur Musik

Dennoch wurde aus Walter Arlen letztlich kein Kürschner und er landete am Ende doch bei der Musik: 1947 wurde er Assistent des Komponisten Roy Harris, 1952 begann seine Arbeit als Musikkritiker bei der "Los Angeles Times", 1969 gründete er die Musikabteilung an der Loyola Marymount University in Los Angeles, deren Vorstand er bis 1998 war. "Ich habe nie viel verdient, aber immer viel gearbeitet", hatte Arlen in einem APA-Gespräch Bilanz gezogen. Dass dabei die eigene Kompositionstätigkeit, die Kammermusik, Lieder, Songs und Stücke für Klavier umfasst, zu kurz gekommen ist, sah er gelassen: "Ich habe mich mit dem Weg, den meine Karriere und mein Leben genommen hat, abgefunden."

Schwieriges Verhältnis zu Wien

Mit seiner Geburtsstadt Wien, die wiederzusehen bei der ersten Rückkehr 1965 auch aufgrund des nicht versiegten Antisemitismus und der geringen Restitutionsanstrengungen schmerzhaft war, hatte Walter Arlen erst in den letzten Jahren seines Lebens seinen Frieden gemacht. Die Geschichte seiner Familie wurde gewürdigt und seine Musik wiederaufgeführt. Er selbst stand im Mittelpunkt von Ehrungen, die schließlich mit der Gedenkveranstaltung, in deren Rahmen der Verein "exil.arte" auch eine neue CD mit Liedern von Arlen ("Es geht wohl anders") vorstellte, ihre Fortsetzung fand. Deswegen hatte der Komponist aus Los Angeles etwas mitgebracht: Im Anschluss an das Gesprächskonzert im Volkstheater übergab er seinen Vorlass an Wiens damaligen Kulturstadtrat Andreas Mailath-Pokorny (SPÖ) .