Kombination des Skurrilen

Steampunk

Ein iPod aus Mahagoni und Messing-Zahnrädern? Junge Briten spinnen in Design, Mode, Musik, Literatur und Life-Style das viktorianische England fort; inzwischen stellen auch honorige Museen ihre skurrilen Kreationen aus.

Eine Fliegerschutzbrille, ein Korsett, eine Laserpistole, ein iPod, der aus Mahagoni und Messing-Zahnrädern besteht – das macht den Stil eines Steampunks aus. Steampunk kombiniert das Skurrile, das Schöne und Bewährte aus der viktorianischen Vergangenheit mit dem Komfort unserer Gegenwart und der Inspiration einer abenteuerlichen Zukunft.

Fernab des Mainstreams hat sich seit 1980 eine Subkultur entwickelt, die ihre Wurzeln in der literarischen Welt und ihr Sozialleben im Internet und in Clubnächten hat. Dank Autoren wie Jules Verne und H.G. Wells ist eine Vermischung der Welten aus Fantasie, Technik und sozialer Kultur sogar eine viktorianische Tradition.

Steampunk, das ist ein Paralleluniversum, das sich von unserem vor der Industriellen Revolution abgespalten hat. Das ist Leder, Holz und Messing, Abenteuer, Fantasie und ein seelischer Schlupfwinkel für all jene, deren Alltag einfach nicht genug Zylinder enthält.

Ein Steampunk-Abend

Es gibt Museen und Galerien, Filme und Bücher, aber den besten Eindruck gewinnt man, wenn man einen Steampunk-Abend besucht, wie sie Tobias Slater in London organisiert. Man taucht in eine andere Welt ein, in der leuchtend grüne Unterwassermonster, Damen mit lila Haaren und einer ledernen Augenklappe, Herren im modifizierten Sherlock-Holmes-Look völlig normal erscheinen.

Tobias ist Anfang Dreißig und sehr, sehr britisch. In seinem seidenen Stresemann- Anzug samt überdimensionalem Rüschenhemd fühlt er sich in dem Getümmel sichtlich wohl. Kein Wunder, schließlich ist er der Autor des wundersamen Chaos. Seine Steampunkballnächte finden etwa zweimal im Jahr in London statt. Jeder ist willkommen, in jedem Outfit und aus jedem Lebensbereich.
Das perfekte Gegenmittel zum Leben im Hamsterrad. Für viele Steampunks ist die Szene mehr als nur ein Hobby, es ist eine Zuflucht vor einer Welt, die ihnen zu roh, zu einsam erscheint.

Abney Park

Als ich Tobias auf dem Abney Park Friedhof im Londoner Viertel Stoke Newington wiedertreffe, sieht er diese rosarote Version der Vergangenheit etwas anders. Er ist wieder in einem authentischen Kostüm gekleidet, diesmal aus der Edwardian Aera, eine graue Uniform komplett mit Zylinder. Inmitten der überwachsenen Grabsteine und Mausoleen ist der Friedhof selbst ein romantisches und etwas verwahrlosten Überbleibsel der viktorianischen Ära.

Abney Park, das ist aber nicht nur ein Londoner Friedhof, sondern auch der Name einer amerikanischen Steampunk Band. Das bedeutet, dass die Musiker den Look der Steampunk, die musikalischen Einflüsse der Viktorianischen Zeit, selbstgebaute Instrumente und die Alles-geht!- Mentalität kombinieren. Frontmann Robert Brown erklärte vor Jahren: "Wir leben in einer Welt, die wie eine große beige Box aussieht, also ist die Idee, in eine Zeit auszuweichen, die elegant und wunderschön ist, mehr als anziehend. Wir nehmen das Beste aus der Viktorianischen Zeit und machen es interessanter, so wie Jules Verne es getan hat."

In ihrem Kostüm, mit ihren langen braunen Haaren, scheuen Auftreten und kerzengerader Haltung könnte Ziazan alias La Diva tatsächlich einem viktorianischen Gemälde entsprungen sein. Aber Steampunk ist eben nicht nur eine Imitation, es ist die Idealisierung der Vergangenheit, ein Phantasiekonstrukt. Gerade die Frauenrolle zeigt den Unterschied zwischen der echten Viktorianischen Zeit und ihrem futuristischen Stiefkind: Korsett, ja. Mensch zweiter Klasse, definitiv nicht.

Inspiration für die Kunstwelt

Das Ergebnis ist laut, bunt, exzentrisch, und im Fall von grünleuchtenden Quallen mit Fliegerbrille und Reitpeitsche einfach nur skurril. Kein Wunder, dass diese kleine Subkultur die Kunstwelt inspiriert, besonders im Bereich Literatur und Film.

Zuerst waren es Autoren, die diese Welt erschufen: K. W. Jeter, und Neal Stephenson, die in die Fußstapfen von Wells und Verne traten. Dann kamen die Designer, große Namen wie Alexander McQueen und Nicolas Ghesquiere, die sich von dem ausgeprägten Steampunkstil beeinflussen ließen, dann folgten die Setdesigner von Filmen wie "Sky Captain and the World of tomorrow" oder "Sherlock Holmes". Und ganz zum Schluss kamen die Bands, wie Abney Park oder die britische Band Jarmean, die sogar BBC 1 überzeugen konnte.

Die Basis ist Individualismus

Dass das anerkannte Museen wie das Museum of the History of Science in Oxford Steampunk-Kreationen eine Ausstellung widmeten, beweist, dass diese Subkultur auch außerhalb ihres ständig wachsenden Kreises Aufmerksamkeit findet.

Das beeindruckende an der Steampunk Szene, abseits der bunten Parties und der charmanten Exzentrik, ist das l’art-pour-l’art-Gefühl. Denn obwohl es mittlerweile Designer, Kunstaustellungen und Websites gibt, basiert die gesamte Idee auf Individualismus, eine Nische. Geld zu machen ist damit wohl nicht.

Der echte Steampunk-Fan baut sein Outfit natürlich selbst. Da in dieser Fantasiewelt ohne Fabriken und deren Laufbänder leben, heißt es Nadel und Faden, Hammer und Nieten in die Hand nehmen. Der Widerspruch in sich eines Steampunk Computers oder iPods ist offensichtlich.

In Viktorianischen Zeiten wären 5.000 Lieder auf einem Stück Technik ein Ding der Unmöglichkeit gewesen, egal wie viele Zahnräder man anbringt. Aber statt sich an diesem Widerspruch zu stoßen, ist es das Privileg dieser literarischen Kopfgeburt, sich über solche Dinge hinwegzusetzen: in Folge gibt es Unmengen an Websites, die einem die richtige viktorianische Lebensart beibringen wollen. Schließlich kann die Glorifizierung einer vergangenen Ära nur mit Humor genommen werden.