Raus aus den elitären Räumen
Diskussion zu zeitgenössischer Musik
Das Festival Wien Modern hat in den vergangenen Wochen Musik der Gegenwart präsentiert. Zum Abschluss treten die Wiener Philharmoniker im Wiener Konzerthaus auf. Mit Martin Grubinger als Solisten führen sie das Konzert für Schlagzeug und Orchester von Friedrich Cerha auf, dem bei Wien Modern ja dieses Jahr ein Schwerpunkt gewidmet war.
26. April 2017, 12:23
Zeitgenössische Musik war in den vergangenen Tagen Gegenstand zweier Podiumsdiskussionen. Prominente Vertreter der Musikszene wie der Dirigent und Komponist Peter Eötvös, der Schlagzeuger Martin Grubinger und Gertraud Cerha, Musikwissenschaftlerin und Gattin von Friedrich Cerha, sprachen mit jungen Komponistinnen und Komponisten darüber, wie zeitgenössische Musik in der Öffentlichkeit wahrgenommen wird, welche Rolle sie in der professionellen Ausbildung spielt, und wie wichtig eine hohe Publikumsakzeptanz ist.
Kulturjournal, 25.11.2011
Künstliche Trennung von Musiksparten
"Wie kann man zeitgenössische Musik einem breiten Publikum nahebringen?" Diese oder ähnlich lautende Fragen braucht man dem ungarischen Komponisten und Dirigenten Peter Eötvös gar nicht stellen. Für Eötvös ist die scharfe Trennung von Neuer und älterer Musik eine unzulässige und künstliche, die es in anderen Kunstsparten nicht gebe.
Die Kategorisierung in Neu und Alt habe erst vor etwa 100 Jahren begonnen und sich ab den 1950er Jahren verschärft, so Peter Eötvös. Heute allerdings hat die Gesellschaft mit dieser Grenzziehung zu leben. Sie bestimmt die Art der medialen Berichterstattung und Entscheidungen im Bereich der Kulturpoltitik.
In der Podiumsdiskussion, die Mittwochabend im Konservatorium Wien über die Bühne ging, war freilich auch die professionelle Ausbildung ein wichtiges Thema. Auch an den Musikhochschulen werde die Tradition oft überbewertet, erklärte Gastgeber und Moderator Ranko Markovic, der künstlerische Leiter des Konservatoriums Wien.
Förderung junger Talente
Ist die Barriere, mit der es Komponistinnen und Komponisten der Gegenwart zu tun haben, in den Institutionen, oder kommt es eher auf die Personen an, die an bestimmten Positionen sitzen? Für den österreichischen Schlagzeuger und Multipercussionisten Martin Grubinger, der mit seinen Auftritten regelmäßig für volle Konzertsäle sorgt, ist der unterschiedliche Blick auf zeitgenössische Musik eine Frage der Generationen.
Es sei eine Frage der Zeit, bis sich die Grenzen zwischen den musikalischen Kategorien auflösen, ist Martin Grubinger überzeugt. Nicht zufällig ist der Musiker am Runden Tisch mit Kollegen zusammengesessen, die wie er musikalisch ganz eigene Wege gehen und sich darüber hinaus um die Förderung junger Künstler verdient gemacht haben. Peter Eötvös etwa hat seit Jahrzehnten eine Stiftung, in der er junge Komponistinnen und Dirigenten zusammenbringt und gemeinsame Projekte realisieren lässt.
Auch Matthias Schorn, Soloklarinettist bei den Wiener Philharmonikern, kümmert sich um die junge Generation. Am Konservatorium Wien leitet er eine Klarinettenklasse. Beim Fidelio-Wettbewerb für Studierende am Konservatorium nahm seine Klasse im vergangenen Jahr in der Sparte "Kreation" teil - um dort einmal in eine ganz neue Welt hineinzuschnuppern, erzählt Matthias Schorn.
Viel Publikum für Neue Musik in Wien
Doch wie sieht es außerhalb solcher geschützten Bereiche aus? Welches Publikum fühlt sich überhaupt angesprochen durch Musik, die sich außerhalb traditioneller Strukturen bewegt? Um diese Frage ging es beim zweiten Runden Tisch im Rahmen von Wien Modern, der gestern Abend im Music Information Center Austria abgehalten wurde.
Dass in Wien noch ein vergleichsweise großes Publikum für Musik der Gegenwart vorhanden ist, darüber waren sich die Diskussionsteilnehmer einig. Jenseits des Atlantiks sieht es schon anders aus, berichtet die US-amerikanische Komponistin Leah Muir, die seit einigen Jahren in Wien lebt. Das Publikum in den USA setze sich vorwiegend aus Komponisten, Musikerinnen und Experten zusammen, berichtet Muir. Um aus diesem engen Kreis herauszutreten, habe sie mit ihrem Ensemble schon öfter an ungewöhnlichen Orten gespielt.
Die Vergangenheit überwunden
Anders als in den USA gibt es in Europa heute Festivals wie etwa Wien Modern, die sich speziell mit der Musik der Gegenwart auseinandersetzen, es gibt Stipendien und ein Fördersystem. In der Nachkriegszeit sei die Situation in Wien allerdings eine gänzlich andere gewesen, erinnert sich Gertraud Cerha, Musikwissenschaftlerin und Gattin von Friedrich Cerha.
Friedrich Cerha und andere Komponisten gingen als Reaktion auf dieses Klima nach Deutschland. In damaligen Musikzentren wie etwa Darmstadt machten sie Bekanntschaft mit musikalischen Entwicklungen, wie sie in Österreich damals nicht möglich gewesen wären. Damals habe ihr Mann den großen Wunsch gehegt, auch in Wien eine musikalische Avantgarde aufzubauen, so Gertraud Cerha. Und tatsächlich leistete der Komponist später mit dem Ensemble die reihe einen wichtigen Beitrag dazu.
Den "elitären" Rahmen aufbrechen
Junge Komponistinnen und Komponisten von heute wandern auf einem schmalen Grat: Als kreative Künstler arbeiten sie auf Grundlage ihrer eigenen Intention; andererseits dürfen sie sich auch dem Publikum nicht ganz verschließen. Der Komponist Hannes Dufek etwa sieht eine Gefahr in dem Umstand, dass sich zeitgenössische Musik oft in einem elitären Rahmen abspiele.
Für Wien Modern und das Theater Dschungel Wien hat der Komponist das Musiktheaterprojekt "Momo" realisiert. Zeitgenössische Musik findet eben nicht nur im Konzertsaal statt, sondern auch im Kindertheater oder im Jazzkeller - und ist damit ein Bereich, der sich wohl nur schwer definieren lässt.
Textfassung: Ruth Halle