Erste große Retrospektive

Sozialistischer Realismus in Rom

Erstmals findet außerhalb der ehemaligen Sowjetunion eine große Retrospektive des sozialistischen Realismus statt. Ausstellungsort ist das Museum Palazzo delle Esposizioni in Rom, wo fünf Jahrzehnte einer wenig bekannten - oder besser lange Zeit ignorierten - Periode russischer Malerei beleuchtet werden.

Die Ausstellung mit dem Untertitel "Große sowjetische Malerei von 1920 – 1970" gibt Einblick in die Geschichte der Malerei des zwanzigsten Jahrhunderts - und damit auch in die Geschichte der Sowjetunion schlechthin.

Kulturjournal, 28.11.2011

Stalin in der zweiten Reihe

Wer die Räumlichkeiten des Palazzo delle Esposizioni betritt, findet sich gleich einmal einem großen Gemälde gegenüber. Sein Schöpfer: Isaak Brodskij. Das Thema: die Eröffnung des zweiten Kongresses der Dritten Internationalen 1920.

Auf fünfeinhalb Meter Länge und mehr als drei Meter Breite sehen wir einen bis auf den letzten Platz gefüllten Saal inklusive aller großen Vertreter des internationalen Sozialismus. Ein quasi fotographisches Abbild, sagt Mario de Simoni, Direktor des Museums, der uns durch die Ausstellung führt: "Das hier sind alles kleine Porträts. Jedes dieser Gesichter zeigt einen Menschen, der tatsächlich am Kongress teilgenommen hat. Interessant dabei ist die Figur des jungen Stalin, der bereits einen wichtigen Platz einnimmt. Wenn auch noch nicht ganz vorne. Denn auf der Haupttribüne sehen wir Lenin."

Traum vom besseren Menschen

Fünf Jahrzehnte - von 1920 bis 1970 - umfasst die Ausstellung, gegliedert in sieben Sektionen. So stehen am Anfang Aleksander Deineka - vertreten durch seine Verteidigung Leningrads - Pavel Filonov und Boris Kustodiev mit "Der Bolschewist", der wie ein Gigant die mit Menschen gefüllten winterlichen Straßen überragt.

Der Traum vom besseren Menschen, so De Simoni: "Man sieht in dieser Ausstellung eine Art feinen roten Faden, der die gesamte russischen Kultur durchzieht. Selbst in der Zeit des Stalinismus. Das ist der Humanismus. Also das Augenmerk, das man auf die zentrale Rolle des Menschen legt."

Schicksalsjahre 1928 und 1929

Die Jahre 1928 und 1929 sind Schicksalsjahre für die Sowjetunion. Trotzky muss ins Exil, Stalin wird zum uneingeschränkten Alleinherrscher. 1932 prägt die Schriftstellervereinigung den Begriff "Sozialistischer Realismus", der auf die gesamte Kunst angewendet wurde.

Keine Stilrichtung, so Matteo Lafraconi, Kurator der Ausstellung, sondern ein politischer Leitfaden: "Man wollte Uniformität. Denn man wollte eine eindeutige Botschaft in einem großen Land verkünden, das Großteils nicht einmal alphabetisiert war. Jede Botschaft musste deshalb klar und einfach sein. Schon Lenin sagte: Die Kunst muss für die Massen verständlich sein."

Verherrlichung nahm überhand

Georgij Rublev zeigt einen im Lehnstuhl sitzenden und "Prawda" lesenden Stalin und Kasimir Malewitsch seine Version von Sportlern. Doch schon bald nahm die Verherrlichung überhand. Glückliche Menschen in einer besseren Welt - auch wider besseren Wissens -, so Lafraconi: "Sich dem Regime widersetzten, das hieß persönlich viel riskieren. Denn es waren die Jahre des Zwangs, der Polizeigewalt, des Terrors. Die Angst war daher ein wesentliches Element bei jenen Künstlern, die den Weg der Heterodoxie gingen."

Anliegen der Schau ist es dank eines repräsentativen Querschnitts, die Qualität der Malerei jener Jahrzehnte aufzuzeigen. Etwas, das was von vielen Kunstexperten in der Zeit des kalten Krieges geleugnet worden ist, sagt De Simoni: "Es ist heute sonderbar: Aber Kunsthistoriker haben jahrzehntelang all das, was im größten Land der Welt passierte, einfach negiert."

Entstalinisierung

Auch einige Frauen sind in dieser sonst männerdominierten Welt vertreten: Tatjana Jablonskaja zum Beispiel, die für ihr Gemälde "Brot" 1949 den Stalin-Preis erhalten hat. Eine signifikante Veränderung trat erst mit der Ära Chruschtschow ein. Die Periode der Entstalinisierung fand ihren Niederschlag auch in der Malerei. Ein typisches Bild für jene Zeit stammt von Gelij Korzev. Ein Triptychon mit dem Titel "Die Kommunisten".

"Der Mittelteil zeigt einen im Kampf gefallenen Arbeiter", erläutert Lafraconi. "Gleichzeitig hebt ein anderer Kommilitone die rote Fahne auf und setzt damit den Kampf fort. Der Tod als Thema war etwas, das bis zu diesem Augenblick verboten war. Denn die Geschichte war eine Geschichte der Utopien und des Optimismus.

Künstler wie Evsej Moiseenko und Viktor Popkov runden die Ausstellung ab. Und zeigen bereits den Weg für die Überwindung des Sowjetischen Realismus in der Malerei auf.