Eva Illouz untersucht ein romantisches Gefühl

Warum Liebe weh tut

Es gibt wohl kaum einen Menschen, der das nicht kennt: Liebeskummer. Doch handelt es sich beim Liebeskummer immer um ein und dasselbe Gefühl? In ihrem neuen Buch nimmt die Kultursoziologin Eva Illouz die romantische Liebe unter die Lupe.

Wir schreiben das Jahr 1870. In Edith Whartons berühmtem Roman "Die Zeit der Unschuld" wird der Held Newland Archer seiner tiefen Leidenschaft für die rätselhafte Ellen Olenska entsagen. Zitat: "Längst schon hatte er erkannt, dass May von der Freiheit ... nur den einen Gebrauch machen konnte: sie ihm auf dem Altar der Liebe zu opfern ... Ihm war klar, dass sie stets treu und tapfer sein und ihm nie etwas nachtragen werde: Darum fühlte er sich zur derselben Haltung ihr gegenüber verpflichtet." Newland Archer wird seine Pflicht tun und May Welland heiraten. May wiederum weiß um Newlands wahre Leidenschaft, aber sie wird nie ein Wort darüber verlieren.

Würde diese Geschichte heute spielen, dann hätte Newland sich längst in eine rasende Affäre mit Ellen verstrickt, während May sich in Internetforen über ihre Kränkung austauschen und sich fragen würde, was sie falsch gemacht habe und warum sie ihren Mann nicht an sich binden konnte.

Sozialer Wandel

"Gefühle", so sagt die Soziologin Eva Illouz, "sind Folgen sozialer Rollen." Die Hauptthese ihres Buches ist, dass sich historisch nicht nur die Vorstellung von Liebe und Romantik gewandelt hat, sondern dass, viel grundsätzlicher, die dazugehörigen Gefühle einer radikalen Wandlung unterliegen. Weil die Struktur einer Gesellschaft auch die Art beeinflusst, in der die Menschen überhaupt etwas erleben, fühlen und ausdrücken können, hat sich im Übergang zur Moderne etwas qualitativ ganz Neues mit dem Liebeskummer zugetragen. In Anlehnung an ein Konzept des Ökonomen Karl Polanyi spricht Eva Illouz von einer "great transformation".

Das große Wort für die Transformation heißt "Deregulierung". Während bis ins 19. Jahrhundert hinein die Kriterien für die Partnerwahl relativ klar in ein gesellschaftliches Korsett aus Anstand, Moral und sozialem Status eingebunden waren, sind sie jetzt freigesetzt. Die Bedingungen der Partnerwahl - Illouz spricht von der "Ökologie und der Architektur der romantischen Wahl" - haben sich grundsätzlich verschoben. Anstelle des geregelten Austauschs sind jetzt freie "Heiratsmärkte" entstanden, auf denen der Wert aber auch die Währung dessen, was eine gute Partie ausmacht, immer neu ausgehandelt werden.

Sexyness hat heute hohen Stellenwert

In fünf großen Kapiteln zeigt Eva Illouz, wie diese Transformation vor sich geht und was sie mit dem Gefühl der romantischen Liebe anstellt. Die Liebeskandidaten treffen sich nun auf "sexuellen Feldern", Aussehen und Sexyness bekommen einen ungleich höheren Wert als früher.

Gleichzeitig erweitern sich die Wahlmöglichkeiten – durchs Internet sogar nahezu bis ins Unendliche. Deswegen wird die "Suche" nach dem oder der absolut Richtigen zu einem zentralen Lebensmotiv. Die sogenannten "Maximiser" hören gar nicht mehr damit auf, immer noch nach etwas Besserem zu fahnden.

Angebot und Nachfrage

Die moderne Liebe ist einerseits emotional stark aufgeladen, andererseits aber betrachten wir sie abgeklärt und rational, denn sie ist entzaubert durch den Diskurs der Naturwissenschaft, der Psychologie und auch des Feminismus'. In einem schönen Kapitel beschreibt Illouz, wie die Ironie nun zur vorherrschenden Form wird, um über die Liebe zu reden.

Die Crux an der großen Transformation ist, dass die Liebeswahl, so gefühlsbetont sie auch daherkommt, im Grunde den ökonomischen Prinzipien von Konkurrenz, Knappheit, Angebot und Nachfrage unterliegt. Das führt aber auch zu einer neuen Form der Ungleichheit der Geschlechter.

Bindungsangst dominiert Exklusivität

Wo die Individuen nicht mehr sicher in eine gesellschaftliche Rangordnung eingebunden sind, wird die Liebe zu einer der wichtigsten Quellen für Selbstwertgefühl und soziale Anerkennung. Illouz kommt nun aufgrund von Interviews, Gesprächen und Auswertung von Literatur zu dem Schluss, dass Männer und Frauen unterschiedliche Strategien verfolgen, um Statusgewinn über Liebe zu erzielen.

Während nämlich Männer versuchen, sich über "serielle Sexualität" aufzuwerten - je mehr, desto besser - finden Frauen ihre Anerkennung durch emotionale Exklusivität. Kurz gesagt: Frauen möchten sich binden, Männer agieren mit Bindungsangst. Sie tun dies nicht aufgrund einer Biologie oder psychischen Grundstruktur, sondern weil es der gegenwärtigen gesellschaftlichen Logik entspricht.

Hier kommt Eva Illouz zu einer ganz anderen Diagnose als ihre Kollegin Catherine Hakim, die in dem ebenfalls kürzlich erschienenen Buch "Erotisches Kapital" behauptet, Frauen hätten grundsätzlich sexuelle Macht über Männer. Nach Eva Illouz liegt, ganz im Gegenteil, das sexuelle Kapital bei den Männern: indem sie Bindung verweigern, üben sie emotionale Dominanz über Frauen aus und bestimmen die Regeln von Anerkennung und Verbindlichkeit.

Anders Leiden als früher

In ihrem lesenswerten Buch öffnet Eva Illouz ein ganzes Universum. Einige der Thesen sind zu groß angelegt, sodass die Autorin in mancher Hinsicht Gefahr läuft, Klischees zu reproduzieren. Doch im Ganzen beeindruckt die Fülle an Material, und auch der Vergleich mit dem Liebesethos des 19. Jahrhunderts ist erhellend. Wir leiden heute anders unter der Liebe als die Menschen früher, das ist das Fazit. Und wir sollten etwas daraus lernen, denn letztlich, so meint die Autorin, lässt die "great transformation" uns erschöpft zurück.

Die freien Märkte müssen eingehegt werden, Deregulierung braucht Grenzen. So plädiert Illouz für mehr Verantwortlichkeit und Verpflichtung im Raum des Begehrens, die Ethik soll die Liebe und die Leidenschaft retten. Ob Edith Whartons Romanfigur Newland Archer im späteren 21. Jahrhundert wohl Ellen Olenska heiraten würde?

Text: Andrea Roedig

Service

Eva Illouz, Warum Liebe weh tut, Suhrkamp Verlag

Suhrkamp - Warum Liebe weh tut