Reportage aus Elendsviertel Kairos

Imbaba: Muslimbrüder als Lichtblick

Bei der Wahl in Ägypten setzt sich der Siegestrend der Muslimbrüder fort. Doch wer immer das Land in eine neue Zukunft führt, hat eine Herkulesaufgabe: Jeder zweite lebt in Armut. Es fehlt an Bildung, Arbeitsplätzen, Infrastruktur. Ein Ort, wo diese Probleme alles andere überlagern, ist Imbaba, ein Elendsviertel am Rand von Kairo.

Morgenjournal, 1.12.2011

Barbara Ladinser hat Imbaba besucht und diese Reportage gestaltet

Staat hat sich abgemeldet

Mit einer Million Bewohner ist Imbaba einer der am dichtesten besiedelten Orte der Welt. Autos, Eselskarren, massenhaft Dreiräder, Tuck-Tuck genannt, und Menschen kämpfen sich durch den Schlamm, den der kurze Regen vor drei Tagen in den Straßen von Imbaba aus dem Staub geschaffen hat. Süßlich riecht es nach Müll und Moder . Rötliche Ziegelhäuser, viele halb fertig oder halb verfallen. Um die zahllosen Läden herrscht geschäftiges Treiben. Der Staat hat sich hier längst abgemeldet und die Menschen sich selbst überlassen. Seine Polizei war auch nicht da, als vor sechs Monaten Islamisten die koptische Kirche St. Mina angriffen, angeblich um eine dort festgehaltene Frau zu befreien. Am Ende waren 15 Menschen tot. Rund um die Kirche wohnen mehrheitlich Christen.

Über eine enge dunkle Stiege gelangen wir in die Wohnung von Amal. Sie und ihre Familie sind die einzigen Muslime in der Gasse. "Nein", sagt Amal, "wir haben keine Probleme mit den Christen. Wir vermischen uns nur nicht, jeder lebt sein Leben, die Probleme kommen, wenn sie jemand von außen hereinträgt. " - "Mubarak hat die Christen immer bevorzugt", klagt Schwiegersohn Medhat. Unbestritten ist, dass das alte Regime es gut verstanden hat, das sensible Verhältnis zwischen den Konfessionen bei Bedarf zu vergiften, und seine Nachfolger tun es bis heute.

Keine Zukunftsangst

Im selben Haus, ebenerdig, hat Hani einen winzigen Parfümladen. In der armseligen Umgebung wirkt der gespiegelte Raum mit den vielen kleinen Glasflaschen wie eine Oase. "Seit der Revolution gehe das Geschäft schlecht", sagt Hani und schaut sorgenvoll in die Zukunft. Er ist Christ. "Die radikalen Islamisten wollen Sondersteuern für uns einführen". Aber Hani macht sich selber Mut: "Nein, ich fürchte mich nicht, selbst wenn die Islamisten die Wahl gewinnen, bekommen wir hoffentlich Freiheit und Demokratie." Hani hat die Revolution nicht unterstützt, Mubarak war in Ordnung für ihn. Aber einen der Slogans mag er: "Mulisme und Christen, Hand in Hand."

Lichtblick Muslimbrüder

In Café "Little Arab" spielen Männer Domino. Schnell gehen die Emotionen hoch - die Arbeitslosigkeit, die Gewalt, die Drogen, die Kriminalität! Die Revolution habe alles nur noch schlimmer gemacht. Die Leute am Tahrir-Platz kassierten Geld aus dem Ausland, wiederholen sie die Propaganda der Staatsmedien. Der Lichtblick sind hier die Muslimbrüder. Seit Jahrzehnten sind sie aktiv in den Elendsvierteln, mit sozialen Einrichtungen, Almosen und Gott. "Sie mögen gewinnen und regieren, Inshallah", sagen die Männer. Als wir in der Dämmerung Imbaba wieder verlassen, wirkt es mit seinen aneinander gedrängten Geschäften und Werkstätten im Halbdunkel und im warmen elektrischen Licht beinahe gemütlich.