Zahl der Einwohner stark zurückgegangen
Emigrationswelle aus Litauen
Litauen kämpft gegen den Abzug von hochqualifizierten Arbeitskräften. Im Vorjahr hat sich die Zahl jener, die in wirtschaftlich besser funktionierende Staaten auswandern, vervierfacht.
8. April 2017, 21:58
Mittagsjournal, 02.01.2012
Nur mehr drei Millionen Einwohner
Es war eine ziemlich herbe Überraschung für die Litauer - das vorläufige Ergebnis der jüngsten Volkszählung. Nur noch knapp drei Millionen Einwohner zählt das Land. Das bedeutet: Die Baltenrepublik hat seit seiner Unabhängigkeitswerdung 1991 ein Fünftel ihrer Bevölkerung verloren. Der Grund dafür ist neben einer niedrigen Geburtenrate vor allem einer: die Auswanderung.
Emigration als Dauerthema
Und davon ist jeder letztlich hier in Litauen irgendwie betroffen. Jeder kennt jemanden, der das Land verlassen hat, im Freundeskreis oder in der Familie, erzählt Kotryna Gailiute. Sie selbst hat jahrelang im Ausland gelebt, ist dann aber doch nach Litauen zurückkehrt, wo sie ein Buch über die Litauische Emigrationswelle verfasst hat. "Wenn ich in meinen Bekanntenkreis schaue, dann ist Emigration ein ständiges Thema. Eine Option, die jeder ständig irgendwie ins Auge fasst. Nach dem Motto: Wenn ich es hier nicht schaffe, dann gehe ich nach London und versuche es dort."
Emigration als gesellschaftliches Problem
Die Gründe für diese hohe Emigrationsbereitschaft seien komplex, so Kotryna Gailiute. Natürlich seien oft die wirtschaftlichen Faktoren im Vordergrund. Doch das allein könne nicht erklären, warum aus Litauen prozentuell soviel mehr Menschen auswandern als aus den anderen baltischen Ländern, wo ja die wirtschaftliche Situation vergleichbar wäre. "Letztlich wirft jeder Fall ein anderes Problem der litauischen Gesellschaft auf. Da die Arbeitslosigkeit, da die niedrigen Löhne, da schlechte Uniausbildung. Aber es gibt auch weniger fassbare Gründe. Es gibt bei uns so ein Gefühl des allgemeinen Misstrauens gegenüber der Politik. Ein Gefühl, dass man hier einfach nichts verändern kann, und dann gehen die Leute lieber gleich weg, in ein fremdes Land, wo sie von vornhinein nichts ändern können."
Nachwehen der Sowjetzeit
Vielleicht sind das auch noch Nachwehen aus der Sowjetzeit, meint der Journalist Tomas Janeliunas. "Bei uns ist die Transformation anders verlaufen. Estland und Lettland haben zum Beispiel schnell alle Positionen im öffentlichen Bereich ausgetauscht. Die hatten einen echten Neuanfang. Wir schleppen noch immer Altlasten mit. Wir hatten die Postkommunisten noch lange in der Regierung. Vielleicht gibt es deshalb bei uns mehr Korruption als im Rest des Baltikums. Das ist mit ein Grund für die schlechte Stimmung."
Kein Rückholprogramm der Regierung
Die Emigration ist ein schwerer Verlust für die litauische Wirtschaft, sind es doch zumeist die gut Ausgebildeten bzw. die besonders Motivierten, vor allem aber die Jungen, die gehen. Und zwar vorzugsweise nach Großbritannien, Irland und Deutschland. Die Politiker sind sich des Problems bewusst. Ein eigenes Rückholprogramm von Seiten der Regierung gibt es nicht. Wir können nur eines tun, eine gute Zukunft für das Land schaffen, so Regierungschef Andrius Kubelius.
Lohnniveau erhöhen
Der Bürgermeister von Wilnius, Arturas Zuokas, sieht im Anheben des niedrigen Lohnniveaus einen Lösungsansatz. "Wir versuchen dies wenigsten auf der städtischen Ebene umzusetzen. Bei öffentlichen Ausschreibungen schauen wir nicht mehr nach dem niedrigsten Preis, sondern ob die Firmen ihre Mitarbeiter korrekt bezahlen. Wir zwingen damit die Chefs ihre Profite mit den Arbeitnehmern zu teilen. Wir haben nichts davon, einige wenige Superreiche zu haben, wenn die anderen nicht von ihrer Arbeit leben können." Ob damit die Emigranten zurückzuholen sind? Es ist jedenfalls ein Schritt in die richtige Richtung. Die meisten Emigranten würden jedenfalls gerne wieder zurückkommen wollen, so Zuokas.
Viele wollen zurück nach Litauen
Das stimmt, bestätigt Kotryna Gailiute aus eigener Erfahrung, zumindest grundsätzlich. "Aber die Verantwortlichen in Litauen müssten sich beeilen. Denn je länger nämlich die Emigranten im Ausland sind, desto schwieriger wird es. Sie heiraten dort, kriegen dort ihre Kinder, sie sind dann letztlich dort integriert."
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