Die kulturpolitische Stimmung Griechenlands

In der Realität angekommen

In Athen gehen die Lichter aus. Nicht nur im jüngsten Roman von Griechenlands wohl prominentesten Schriftsteller Petros Markaris, sondern auch im realen Leben, weil viele Griechen kein Geld mehr für Strom und Heizung haben. Auch die Kulturschaffenden des Landes lässt die Krise nicht unbeeinflusst. Sie entwickeln aber eine neue Kreativität.

Kultur aktuell, 07.01.2012

Es heißt "Einfaches Theater", es ist ein kleines Theater, aber es ist seit gut 30 Jahren ein Referenzpunkt in der Athener Theaterlandschaft. Dennoch stand sein Betrieb heuer auf dem Spiel. 2010 hat das griechische Kulturministerium erstmals keine Subventionen vergeben, und was die Subventionen für 2011 angeht, herrscht lautes Schweigen, wie Theaterleiter Antonis Antypas bemerkt. 60.000 Euro hat er aus eigener Tasche bezahlt, um die Bühne vergangenes Jahr zu bespielen. Vielleicht sei dies seine letzte Theatersaison, sagt er:

"Ich stelle mir natürlich die Frage: Warum überhaupt noch Theater? Warum halte ich den Posten? Die finanzielle Unsicherheit ist sehr belastend. Sehr ermattend. Andererseits ist das auch eine Chance, dass wir in uns hineinhorchen und unsere Werte neu überdenken; dass wir solidarischer werden, menschliche; dass wir den Wert der Worte Kultur, Liebe, Kunst neu definieren.

Saison der Experimente

Zunächst aber die Finanzen. Sie sind der Dreh- und Angelpunkt aller Diskussionen in Griechenland. Es ist die Theatersaison der kleinen Produktionen. Manche davon sind ganz klein: Derzeit werden auf 27 Athener Bühnen Monologe aufgeführt. Und: Es ist die Saison der Experimente.

Die Kinisi Mavili, ein Think-tank junger Theatermacher, hat vor einigen Wochen ein leer stehendes Theater besetzt und neu zum Leben erweckt - und damit ein Forum für experimentelles Theater geschaffen, einen Ort, an dem die Kunst vom Geld entkoppelt ist. Das Kassenhäuschen ist unbesetzt, der Eintritt ist frei. Es war der richtige Zeitpunkt für diese Aktion, sagt eine der Initiatorinnen, Gkigki Argyropoulou:

"Es war auch der Versuch, diesem Gefühl des Verfalls und des Untergangs etwas entgegen zu setzen, zu sagen: Doch, wir können etwas tun. Und in Athen fehlte so ein Ort. Wir haben viele Theater, aber wir haben keine Orte, wo ein Dialog, wo Experimente stattfinden können, frei vom finanziellen Aspekt." Die Krise, fährt die Theatermacherin fort, schaffe das Bedürfnis, sich zusammen zu schließen. Es gab heuer viele Festivals und Symposien. Synergien sind erwünscht.

Neubestimmung der Werte

Die Filopappou-Gruppe, ein Künstlerkollektiv, das seit über zehn Jahren Projekte im öffentlichen Raum organisiert, folgt diesem Gedanken schon lange. Wie erlebt sie die Krise in Griechenland? Ihre Arbeitsbedingungen waren schon vorher schwierig, sagen die Mitglieder. Finanziell sei es also nur ein gradueller Unterschied. Dennoch lässt sie die Krise nicht unbeeinflusst.

Den bildenden Künstler Thodoris Zafeiropoulos beschäftigt derzeit der Gedanke des Wiederverwertens. Selbstverständlich aus finanziellen Gründen, aber nicht nur. Es geht auch um eine Neubestimmung der Werte. Denn dass die Finanzkrise in Griechenland vor allem eine Krise der Werte freigelegt hat, darüber sind sich nicht nur die Intellektuellen einig. Oder, wie es Harikleia Hari, ein weiteres Mitglied des Filopappou-Kollektivs ausdrückt:

"Wir vermeiden es, als Gesellschaft Verantwortung zu übernehmen. Die griechische Gesellschaft ist eine sehr kindliche Gesellschaft, ist mein Eindruck. Manchmal ist das nett und leichtfüßig, aber es bringt auch viel Verwirrung hervor. Von der Krise und von den Fragen, mit denen sie uns konfrontiert, können wir also nur profitieren. Die Krise hat uns in die Wirklichkeit katapultiert. Lange Jahre haben wir in einer Welt des geborgten Reichtums gelebt. Eine Realität anzuerkennen ist aber immer hilfreicher als in einer Phantasiewelt zu leben." Und so sei die Krise, resümiert Harikleia Hari, für die griechische Gesellschaft wie ein Erwachen.