Umstrittener Roman von Julia Franck

Rücken an Rücken

Bei den im vergangenen Jahr erschienen Romanen war die DDR eines der großen Themen. Eugen Ruges generationenübergreifende Familiengeschichte "In Zeiten des abnehmenden Lichts" hat ja sogar den deutschen Buchpreis gewonnen. Von einer tragischen Jugend im Jahrzehnt vor dem Mauerbau erzählt hingegen Julia Franck in ihrem Roman "Rücken an Rücken" und sie hat dafür teils harsche Kritik geerntet.

Der vorrangige Grund dafür war, dass die Autorin mit ihrer Darstellung eines ehemaligen KZ-Insassen an einem unausgesprochenen Tabu gerüttelt hat.

Kultur aktuell, 13.01.2012

Keine Makellosen

Das Geschwisterpaar Thomas und Ella wachsen in den 1950er Jahren in einem Ostberliner Vorort auf, die Mutter ist Bildhauerin, eine kalte und lieblose Frau, der Vater ist im Krieg gefallen. Nach dem Tod des Vaters hat die Mutter eine Zeit lang einen anderen Mann gehabt, eine problematische Figur. Dieser Eduard war im KZ gewesen und "langt nach Ella", wie Julia Franck sagt, "laut Ellas Erinnerungen hat er sich an ihr vergangen".

Genau diese Konstellation hat Hubert Winkels in seiner Rezension in der deutschen Wochenzeitung "Die Zeit" aber scharf angegriffen. Der personale Zusammenhang zwischen KZ-Opfer und Kinderschänder sei schmerzhaft, ja schändlich geradezu, schrieb Winkels, und bedeute einen Missbrauch von Geschichte und Erinnerungskultur.

Julia Franck kontert, sie finde das brisant, weil es "das Leid und die Beschädigung, das in Konzentrationslagern erfahren wurde, leugnet". Es verlange, dass ehemalige KZ-Insassen keinerlei Makel aufweisen dürften.

In Stasi-Akten gestöbert

Leicht hat es sich Julia Franck nicht gemacht. Wie auch schon in ihrem vorherigen Roman "Die Mittagsfrau", der ihr 2007 den Deutschen Buchpreis einbrachte, hat sie auch im aktuellen Roman "Rücken an Rücken" die eigene Familiengeschichte verarbeitet. So hat der Thomas in ihrem Buch ein reales Vorbild, nämlich ihren Onkel Gottfried.

Es geht aber noch weiter, denn die Großmutter der 1970 geborenen Julia Franck war wie die Mutter im Buch Bildhauerin mit engen Verbindungen zur Staatssicherheit. Für die Recherche hat Franck deshalb auch die Stasi-Akten ihrer Großmutter durchgesehen.

Keine Realitätsflucht

Obwohl Franck immer wieder das Hineingreifen des Politischen in die privatesten Winkel schildert, verwendet sie dafür eine sehr kunstvolle, fast überhöhte Sprache - was ihr auch zum Vorwurf gemacht wurde. Von einem Märchen mit entrückten Figuren war da die Rede. Gerade Realitätsflucht, so Julia Franck, habe sie dabei viel eher bei manch anderen DDR-Romanen entdeckt, denn die Staatssicherheit spiele in keinem der Bücher, die sie gelesen habe, eine Rolle.

Der deutsche Historiker Karl Schlögel meinte vor kurzem im "Standard"-Interview, dass es der Job des Historikers wäre, "in Konstellationen so einzudringen, dass man sie sich vor Augen führen und sie verstehen kann". In diesem Sinne hat Julia Franck mit ihrem neuen Roman "Rücken an Rücken" den Historikern einiges an Arbeit abgenommen.

Textfassung: Ruth Halle

Service

Julia Franck