Krimi von Cay Rademacher

Der Trümmermörder

Hamburg im Jänner 1947. Ein sogenannter Jahrhundertwinter in einer nach wie vor zerbombten Stadt. Minus 20 Grad Celsius über mehrere Wochen hinweg, kaum Heizmaterial außer dem wenigen, das sich in den Trümmern der Stadt finden lässt. Der Schwarzmarkt blüht, und die Hansemetropole ist zu einem Zufluchtsort für Kriegsflüchtlinge aller Art geworden.

"Displaced persons" werden sie genannt, und sie stammen vor allem aus osteuropäischen Ländern, die die Nazis überfallen hatten, ehemalige KZ-Häftlinge und Kriegsgefangene sind darunter. Zu ihnen gesellt sich ein zweiter Flüchtlingsstrom, Menschen aus der sogenannten "Ostzone", die den Sowjets und der Roten Armee entkommen wollen.

Der Schmuggel und der illegale Tauschhandel geht mit einer explodierenden Kriminalitätsrate einher: Morde, Vergewaltigungen, Raubüberfälle, Diebstähle und so weiter, und so fort.

Serienmörder in Hamburg

An einem dieser Jännertage wird in den Trümmern eines Hamburger Außenbezirks eine Frauenleiche gefunden. Nackt und erwürgt. Für Oberinspektor Frank Stave beginnt ein mühsamer Ermittlungsprozess. Die Tote ist nicht zu identifizieren, und zu allem Überdruss muss er auch noch mit einem Kollegen von der Sitte zusammenarbeiten.

Damit nicht genug: Auch die Alliierten schalten sich ein und stellen einen britischen Verbindungsoffizier für den Fall ab. Als weitere Morde unter ähnlichen Umständen folgen, ist schnell die Rede von einem Serientäter, vom "Hamburger Trümmermörder".

Eine Lösung für den ungelösten Fall

Cay Rademacher, ein deutscher Journalist und der geschäftsführende Redakteur von "Geo Epoche", einem in der Tat exzellenten Geschichtsmagazin der "Geo"-Reihe, hat einen authentischen Kriminalfall für seinen Roman recherchiert. Die Mordserie im Hamburg der Nachkriegszeit hat sich tatsächlich ereignet, und so viel kann verraten werden: In der Wirklichkeit wurde sie nie aufgeklärt. Die Opfer blieben unidentifiziert, namenlos, und der Täter konnte auch nie gefunden werden.

Aber wie es nun mal so ist mit der Wirklichkeit und der Literatur, hat Rademacher daraus einen außerordentlich gut recherchierten, atmosphärisch dichten und höchst spannenden Krimi gemacht, in dem es sehr wohl eine Lösung des Falles gibt.

Hier erfährt man außerordentlich viel über das Hamburger Leben nach 1945. Was man mit seiner Bezugs- oder Lebensmittelkarte bekommen konnte - unter anderem 1,7 Kilogramm mit Sägemehl gestrecktes Graubrot und sieben Achtel Liter Milch pro Woche. Wie die Preise auf dem Schwarzmarkt ausgesehen haben - eine Zigarette der Marke "Lucky Strike" um sieben Reichsmark - und wie groß die Kriegsschäden in Hamburg gewesen sind - 250.000 zerbombte Wohnungen und Häuser, dazu Fabriken, Schulen, Krankenhäuser und Kirchen.

Beste Milieuschilderungen

Aber nicht nur die detaillierte Recherche macht diesen Roman aus, dazu kommen stimmige Schilderungen des Reeperbahn- und Schwarzmarktmilieus, aber auch eines Polizeiapparats, an dem die Entnazifizierung mehr oder minder spurlos vorübergegangen ist, sowie ein durchaus überzeugender Krimiplot, dessen Wurzeln ebenfalls in die Nazi-Zeit zurückreichen und mit Kriegsverbrechen zu tun haben.

Sieht man von wenigen "Herz-Schmerz-Passagen" ab, die der Autor irrigerweise zur Auffettung der Psychologie seiner Hauptfigur, des verwitweten Oberinspektors Stave, eingefügt hat, ist Cay Rademachers Roman "Der Trümmermörder" ein höchst lesenswertes Stück deutscher Kriminalliteratur.

Ein Tipp noch am Rande: "Displaced Persons", unmittelbare deutsche Nachkriegszeit und ein abenteuerlicher Kriminalfall sind auch die Themen eines gerade wieder aufgelegten Politthrillers des US-Amerikaners Ross Thomas. "Der achte Zwerg" heißt das Buch und ist Teil einer großen Ross-Thomas-Edition, die der Berliner Alexander Verlag herausbringt.

Service

Cay Rademacher, "Der Trümmermörder", Dumont Buchverlag

Dumont - Der Trümmermörder