Drago Jancars Roman neu übersetzt

Nordlicht

Seit Jahresbeginn ist das slowenische Maribor eine der beiden Europäischen Kulturhauptstädte. Im Programm dieser Kulturhauptstadt spielt auch Literatur eine wichtige Rolle, denn Sloweniens meistübersetzter und international bekanntester Autor stammt aus dieser Stadt: Drago Jancar wurde 1948 in Maribor geboren. Und 1974 kam er in Titos Jugoslawien in dieser Stadt wegen "feindlicher Propaganda" und "publizistischen Ungehorsams" ins Gefängnis.

Von Jancars bedeutenden Romanen spielt einer zur Gänze in Maribor, ja man könnte sagen, er hat Maribor zum Gegenstand: "Nordlicht". Zwei Jahrzehnte nach seinem ersten Erscheinen auf Deutsch wurde das Buch jetzt in einer Neuübersetzung von Klaus-Detlev Olof wieder aufgelegt. Der Roman "Nordlicht" fokussiert allerdings nicht das Maribor, das Jancar selbst erlebt hat, sondern das der Zwischenkriegszeit.

Die blaue Kugel

Die Handlung spielt in den ersten Monaten des Jahres 1938. Und dieses Maribor ist zwar eine Provinzstadt, gleichzeitig aber auch "nichts anderes als der Widerhall des großen mitteleuropäischen Raumes". Ein zentraler Satz des Romans, der das Erleben der Hauptperson mit einer Zeitdiagnose verknüpft, lautet:

Der, der hier spricht, ist Josef Erdmann, der zu Neujahr 1938 nach Maribor gekommen ist - als Vertreter einer Firma, aber auch um Spuren seiner Kindheit zu finden; vor allem jene blaue Kugel, die ihm nie aus dem Kopf ging: die blaue Kugel in den Händen eines alten Mannes auf einem Altar - eine Weltkugel in den Händen von Gottvater also, die für das Kind aber einen besonderen Ball darstellte, den es immer haben wollte, aber nicht bekommen konnte. Diese Kugel findet Erdmann schließlich auch, oder besser gesagt, scheint er sie zu finden, denn die Grenzen zwischen der Realität und seiner Fantasie verschwimmen bisweilen. Alles andere aber verliert Erdmann - seine Orientierung, seine innere Ruhe, seine Reputation.

Kafkaeske Situationen

Das beginnt damit, dass jener geheimnisvolle Jaroslav, den er in Maribor hätte treffen sollen und dem er immer wieder Telegramme schickt, nie erscheint; bis sich schließlich herausstellt, dass es die Firma Stastny, bei der Jaroslav und Josef Erdmann angeblich arbeiten, gar nicht gibt. Und in einem Klima, in dem die stalinistischen Schauprozesse in Moskau und vor allem der Anschluss Österreichs auch in Maribor spürbar sind, wird Josef Erdmann verdächtig. Und auch wenn man mit dem Wort "kafkaesk" oft viel zu leichtfertig umgeht - in einem Roman, in dem wie in Kafkas "Verwandlung" ein Herr Samsa auftritt, darf man wohl von kafkaesken Situationen sprechen. Maribor wird zur Falle.

Die größte Verwirrung entsteht dadurch, dass sich Josef Erdmann in die Frau dieses Franjo Samsa verliebt. Diese heimliche Liebe wirft beide aus der Bahn - und sie fliegt natürlich auf. Im letzten Zusammentreffen der beiden erweist sich Drago Jancar als Meister der Verknappung auf wenige Momente und Sätze, die den Schmerz, das Scheitern, das Nicht-Verstehen und die Ausweglosigkeit unmittelbar auf den Leser übertragen.

Erzählt wird das alles in 81 kurzen Kapiteln, die aber nicht alle aus der Ich-Perspektive von Josef Erdmann geschrieben sind. Immer wieder werden vom Erzähler Ereignisse in den Blick gerückt, die über Erdmanns Horizont hinausgehen. Und am Schluss hat er gar nichts mehr zu sagen, wird nur noch psychiatrisch diagnostiziert, zu den Eltern nach Lienz gebracht und im Dritten Reich zwangssterilisiert. Margarita, seine Geliebte, ist Opfer eines Mordes geworden.

Der Zustand der Welt

Das Faszinierende an diesem Roman ist die Parallelität zwischen den Vorgängen in der Psyche Josef Erdmanns und denen der Weltgeschichte - der bedrückende Zerfall, die mit Händen zu greifende Vorahnung der Katastrophe, das Unerklärliche. Allerlei Diagnosen schwirren herum, über Josef Erdmann, aber auch über den Zustand der Welt. An einer entscheidenden Stelle meint der Erzähler jedoch:

Die Großmetapher für das Schreckliche, Fremde, Faszinierende und Schöne, das über die rationalen Erklärungen hinausgeht, ist das, was zunächst aussieht wie ein brennender Berg oder ein blutender Himmel - jenes Nordlicht, das es im Jahr 1938 in Maribor tatsächlich gegeben hat. Seine Beschreibung ist eine glänzende Erprobung der Sprachfähigkeit des Autors wie des Übersetzers. Und es ist immer wieder die Sprache, durch die diese wirre versinkende Welt des Jahres 1938 wie die des Josef Erdmann ihren Sog entfaltet, dem man sich nicht entziehen kann.

Im Fokus der Kulturhauptstadt

Kommt man heute nach Maribor, sieht die Stadt an vielen Stellen anders aus als 1938. Aber man findet eine Leuchtschrift mit dem Romantitel "Nordlicht", denn ein kleines Projekt der Kulturhauptstadt trägt den Titel: "Nordlicht - Genius loci". Plätze in der Stadt werden gezeigt, die mit diesem Roman und dem Leben seines Autors zu tun haben.

An der Drau findet man die Aufschrift "Der Galeot" - als Hinweis auf einen anderen Roman von Drago Jancar. Auch sein Stück "Der große Brillantwalzer", das vor zwei Jahrzehnten hier einen großen Erfolg hatte, wird aufgeführt. Drago Jancar, der in dieser Stadt im Gefängnis gesessen und aus ihr geflüchtet ist, ist der geheime Held des Literaturprogramms der Kulturhauptstadt.

Service

Drago Jancar, "Nordlicht", aus dem Slowenischen übersetzt von Klaus Detlef Olof, Folio Verlag

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