Kultur gegen den Burn-out

Rotraud Perner zum Erlebnis Kunst

"Kunst ist für mich, wenn ich die Seele spüre, und zwar unabhängig vom Können. Wenn ich das Können spüre ohne die Seele, dann ist das für mich Kitsch." Rotraud Perner.

Mit der menschlichen Seele, ob es sich nun um ihre Höhenflüge oder Abgründe handelt, kennt sich die Psychoanalytikerin und -therapeutin berufsbedingt gut aus. Zur Kunst hingegen hegt sie - übrigens ebenfalls aus professionellen Gründen, wie sie erklärt - eine gewisse Distanz: Perner, der als langjähriger Ratgeberin etwa in Sachen Sexualität keine menschlichen Gefühle fremd sein sollten, erfährt beim Erlebnis Kunst keinerlei Höhepunkte. Ihr Genuss sei kontrolliert, sagt sie.

Befreiung aus der Erschöpfungsfalle

"Ich bin eine Psychoanalytikerin, ich bin ziemlich balanciert. Das heißt, wenn ich etwas erlebe, dann genieße ich es, aber es haut mich nicht vom Stockerl. Wenn ich Musik höre, die meiner Seelenlage entspricht, tauche ich ein wie in eine Badewanne und lass mich bewegen, aber ich ersauf nicht drinnen. Ich bin ein Mensch, der sehr stark wahrnimmt, aber die Wahrnehmung erschüttert mich nicht, sondern sie bewegt mich. Aber diese Wahrnehmung ist eine gleichmäßige Wellenbewegung, also es ist bei mir nicht so, dass ich von Musik oder von anderen Kunstformen hingerissen würde, das hängt bei mir damit zusammen: Ich weiß ja alles, wie das funktioniert im Hirn."

Rotraud Perner, die neben ihrer Praxis als Psychotherapeutin unter anderem an der Donau-Universität Krems Gesundheitskommunikation sowie eine speziell von ihr erfundene wissenschaftliche Methode, die sogenannte Provokativ-Pädagogik, lehrt, kann auf eine ansehnliche Liste von Publikationen verweisen. Ihr jüngstes Buch widmet Perner den vielzitierten Burnout-Symptomen der stressgeplagten gegenwärtigen Gesellschaft.

"Der erschöpfte Mensch" heißt der beim Residenz Verlag erschienene Band, in dem die Autorin sich unter anderem Gedanken über den Begriff "Schöpfungskraft" macht, und in dem sie zum Befund kommt, dass Kreativität nicht nur auf anerkannte Künstler und deren kulturelle Höchstleistungen beschränkt sein sollte. Auch der durchschnittlich begabte Mensch, der mitunter einen vergleichsweise eintönigen Alltag zu bewältigen hat, kann und soll schöpferisch tätig sein. Therapeutin Perner rät ihren Klienten, sich gestalterisch und fantasievoll ihr "Sein", ihre Existenz selbst zu erschaffen, um sich so aus der "Erschöpfungsfalle" zu befreien.

Die Freude des Gestaltens

"Ich empfehle vielen meiner Klienten Kunst und Kultur, da gehört für mich auch dazu, wie man Feste feiert, oder wie man sich anzieht. Ich empfehle das, um in die Freude des Gestaltens zu kommen, weil das als hilfreiche Methode gegen das Burnout-Gefühl wirkt, das heute so viele haben. Und zwar deswegen, weil man sich dabei entspannen muss: Wenn ich schöpferisch tätig sein will, muss ich eine Vision haben, der ich mich öffnen muss, ich muss eine Vorstellung haben, was herauskommen soll. Ein Bildhauer sieht einen Stein und sieht gleichzeitig schon die Figur, die da drinnen darauf wartet, freigesetzt zu werden. Und egal, ob ich jetzt meine Fensterstöcke zuckerlrosa anstreiche und mich freue, obwohl alle sagen, das schaut ja furchtbar aus - es geht darum, eine Methode zu finden, wo man sich freut, dass es Dinge gibt, die nicht alltäglich sind. Und was jemand macht, muss die Person selber herausfinden."

Arbeit, soziale Kontakte, emotionale Bindungen, intellektuelle Entwicklung, Spiritualität und Gesundheit zählen, so die gängige Ansicht von Forschern, zu den Grundlagen für ein geglücktes Leben. Rotraud Perner fügt als weitere unverzichtbare Grundlagen Kunst und Kultur hinzu. Sie helfen, "mit den eigenen Gefühlen anders umzugehen, als dass man anderen Leuten was antut, weil man sie zum Sündenbock macht".

Kommt ein Klient mit der Diagnose Burn-out in Rotraud Perners Praxis, kann es durchaus passieren, dass er gleichsam Kunst verschrieben bekommt. Die erwünschte Wirkung der Medizin: positive Gefühle. Wie bei jedem Medikament können jedoch auch unerwünschte Nebenwirkungen auftreten. So gebe es zum Beispiel verstörende Filme, die man sich nicht vor dem Schlafen-gehen ansehen sollte.

Musik weckt Erinnerungen

Vor einiger Zeit hat Rotraud Perner ein zweites Standbein im Studium der evangelischen Theologe gefunden; gemäß der protestantischen Tradition vermögen Bilder sie nie uneingeschränkt zu bezaubern. Für Musik hingegen kann Perner sich durchaus erwärmen, denn sie wecke schöne - und auch weniger schöne - Erinnerungen.

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