Vor dem Klistier sind wir alle gleich

Der Einlauf

Sei sein Image noch so schlecht: Er lässt uns ewig alt werden und ist dazu noch höchst demokratisch, denn vor dem Klistier sind wir alle gleich. Der Einlauf macht keinen Unterschied. Ein Plädoyer für die vergessene Kunst der Darmspülung.

Was wird dem Einlauf noch alles angetan? Er wird geschmäht, mit Füßen getreten, verleumdet. Man ekelt sich, verweigert mit Grausen im Gesicht den Zutritt zur hinteren Pforte, lässt den braunen Salon ungespült in die Jahre kommen. Zieht mit aller Gewalt den Schließmuskel des Afters zusammen, dass es schmerzt. Nur damit sie nicht eindringen kann, die Rektalkanüle, aus der der labende, wohlig warme Wasserstrahl quillt. Vor allem Männer schaffen es nicht, ihre angeborene Penetrationsangst außen vor zu lassen. Über alles kann man sprechen heutzutage, nur nicht über den Einlauf. Das letzte Tabu unserer liberalen Gesellschaft.

Dabei ist der Einlauf ein nicht zu unterschätzender Heilsbringer. Erst einmal an ihn gewöhnt, will man ihn gar nicht mehr missen. Er erleichtert uns das Leben, gesundet uns oder verwöhnt uns einfach nur auf neckische Weise.

Vielen alten Kulturen war das bewusst und doch hat der Einlauf oder auch Klistier genannt, heute ein nicht zu unterschätzendes Imageproblem. Er kam schlicht aus der Mode. Vorbei die Zeiten, als es fast zum guten Ton gehörte, seinen Darm mittels Spritzpumpe zu entleeren.

Flaschenkürbisse, Tierblasen, geschnitzte Holzgefäße - der Fantasie waren keine Grenzen gesetzt, wenn es darum ging, die Körpersäfte im Gleichklang fließen zu lassen. Verstopfung ist für Gleichklang denkbar hinderlich, das wusste schon Hippokrates von Kos im 5. Jahrhundert vor Christus. "Raus mit dem krankmachendem Unrat aus unseren Eingeweiden", rufe auch ich. Die Indianer am Amazonas pflichten mir bei und schieben sich genüsslich einen komprimierbaren Gummiball aus Kautschuk, gefüllt mit Wasser, durch den Ring, der die Welt bedeutet.

Kein Leibarzt, der etwas auf sich hielt, verzichtete auf diese einfache, aber effektive Wunderwaffe der Medizin. So erfreuten sich im 15. Jahrhundert die ersten mechanischen Klistierspritzen aus Metall mit Gewinde, Kolben, Stempel und Kanüle großer Beliebtheit. Selbst Sonnenkönig Ludwig XIV. schien nach der Behandlung mit dem Allheilmittel die Sonne regelrecht aus dem Arsch. Was für eine fidele Zeit. Ein Spaß für die ganze Familie, denn ähnlich der Freikörperkultur führte auch das permanente Klistieren nicht zur sozialen Isolation. Im Gegenteil, ganze Masseneinläufe sind überliefert.

Doch ewig konnte der Spaß so nicht weitergehen. Wieder einmal setzte die rigide Moralvorstellung der katholischen Kirche der Volksgesundheit mächtig zu und so hob der Selbstklistier zum Siegeszug an.

Von da an war der Erniedrigung Tür, Tor und Anus geöffnet und ein weiterer Mosaikstein zur Vereinsamung wurde gesetzt. So kommt es nur mehr in den profanen Niederungen der Sexualität zu Partnereinläufen. Demütigung ist die Triebfeder. Welch Vergeudung wertvollsten Wissens. Jetzt schließen wir uns ein, lassen nicht einmal unsere Liebsten an dem Schauspiel teilhaben, genieren uns wie christliche Internatszöglinge nach dem Masturbieren. In welch erbärmliche Ecke wurden wir bekennenden Darmentleerer gedrängt. Selbst der Erwerb der Gerätschaften bringt einem höchstens mitleidige Blicke. Man muss ja krank sein, um so etwas freiwillig zu machen. Als Hobby geht das nicht durch. Doch nicht mit mir. Ich deklariere mich. Ich oute mich und ich bin angetreten, dem Klistier zu seinem Recht zu verhelfen. Er muss beliebt wie die elektrische Zahnbürste werden.

Genau deshalb schreie ich extra laut in den Apotheken dieser Stadt: "Ich will das Klistier-Starter-Set um 39,90 Euro. Genau das mit dem Irrigator 21 inklusive Gefäß, Schlauch und Hahn. Natürlich mit einem Ballondarmrohr, einem Gebläseball und einem Bettbeutel. Auf die Einmal-Handschuhe aus Latex pfeife ich, denn mir ekelt nicht und ich bin geübt. Kein Tröpfchen wird vergeudet." Das ganze Sammelsurium an Goodies schenke ich im Bekannten und Verwandtenkreis weiter. Jeder, dem ich jemals die Hand geschüttelt habe, bekommt im Laufe seines Lebens dieses Package. Zum Drüberstreuen verabreiche ich dann noch die Video-CD "Klistier" aus der Reihe "wie macht man eigentlich"; denn so einfach ist das gar nicht.

Zuerst einmal nach Hause gleiten. Dort einen erhöhten Platz für den Wasserbehälter suchen, denn die Flüssigkeit muss durch den Schlauch hinabstürzen können. Wir füllen den Behälter mit lauwarmem Wasser. Genau ein Liter, alles darunter ist für Blender und kitzelt höchstens den Enddarm. Nur reines, unverfälschtes H2O - ohne Zusätze. Wir vergewissern uns, dass die Kanüle geschlossen ist. Anfänger betupfen die Spitze derselben mit ein wenig Gleitcreme. Dann knien wir uns auf alle Viere und schieben uns vorsichtig den vorderen Aufsatz der Kanüle in den Darm. Haben wir uns versichert, dass alles rutschfest sitzt, öffnen wir die Schleusen und ergeben uns dem Genuss, bis ein Liter klares Nass in uns verschwunden ist. Wir entfernen den Schlauch und halten den Schließmuskel fest geschlossen. Wahre Connaisseure drehen sich nun auf den Rücken und wippen mit angezogenen Beinen hin und her, damit ja jede Darmfalte umsaftet wird. Dann robben wir wieder auf allen Vieren aufs Klo und lassen den Tsunami der Katharsis in die Keramik donnern. Oh welch Segen. Der ganze Dreck herausgespült, wimmernd vor einem abtretend. Jahrelanger Substanzenmissbrauch, einfach herausgezwungen.

Und sei sein Image noch so schlecht: Er lässt uns ewig alt werden und ist dazu noch höchst demokratisch, denn vor dem Klistier sind wir alle gleich. Er macht keinen Unterschied. Er verzeiht uns sogar all die Schmähungen, all die Verachtung und all den Ekel, der ihm von Ungläubigen entgegen geschleudert wird. Der Einlauf ist gut zu uns.