Neues Album von Air

Musik zu "Le voyage dans la lune"

Es war eine Sensation für die Filmwelt, als 1993 bei einem spanischen Sammler eine fast zerstörte, handcolorierte Rolle des verschollen geglaubten "Le voyage dans la lune" - "Die Reise zum Mond" des Stummfilmpioniers George Melies auftauchte.

Der 1902 gedrehte, 14-minütige Film gilt als Geburtsstunde des Science-Fiction-Films, eine Art erster Blockbuster der Filmgeschichte. Bei den Filmfestspielen in Cannes wurde 2011 eine restaurierte Fassung des Klassikers präsentiert, zu der die Produzenten das französische Elektropop-Duos Air eingeladen haben, einen neuen Soundtrack zu schreiben. Spielten bei der Premiere in Cannes die Musiker live zur Projektion, so ist diese Woche eine erweiterte Form dieses Soundtracks als Album erschienen: "Le voyage dans la lune".

Kulturjournal, 10.02.2012

Das berühmte Bild vom Mond mit dem kugelrunden Gesicht, die Raumkapsel im rechten Auge, ziert das Cover des neuen Air-Albums. Es sei vergangenes Frühjahr gewesen, erzählt das Duo, als die Anfrage kam, für die Filmpremiere in Cannes einen Soundtrack zu schreiben. Anfangs hätten sie noch gezweifelt, so Nicolas Godin. Erst als sie erfahren haben, dass es keine durchkomponierte Originalmusik zum Film gab, willigten sie ein.

"Wenn jemand schon im Jahr 1902 eine Musik zu diesem Film komponiert hätte, hätten wir das Angebot nicht angenommen. Wir wollen ja niemanden ersetzen. Ich finde, wenn in der Kunst etwas geschaffen wird, dann sollte das auch nicht mehr verändert oder ausgetauscht werden. Aber hier gab es ja nichts, wir hatten alle Freiheiten. Als Melies den Film 1902 drehte, wollte er die Menschen unterhalten, aber über die Jahre ist er zum Museumsstück geworden. Wir wollten den Film mit unserer Musik im Jahr 1902 abholen, mit den Intentionen Melies'. Es soll wieder ein Film sein, der unterhält, bei dem es eine Freude ist zuzusehen."

Fernweh nach unendlichen Weiten

Air, das sind quasi die Experten für sphärische Klänge. Schon auf ihrem gefeierten Debütalbum "Moon Safari" besang das Duo 1998 den Mond und die Sterne. Und so ist das neue Album eine thematische Rückbesinnung, aber auch eine musikalische. Denn von den teils überproduzierten und fadisierenden Sounds der letzten Alben ist auf "Le voyage dans la lune" kaum mehr etwas zu hören. Hier wird bei vermehrt instrumental dominierten Songs wieder dem Fernweh nach den unendlichen Weiten gefrönt. Mal mit Keyboards und Synthies ins Sphärische gerückt, mal rau und geerdet, dann fast psychedelisch. Auf der Abschussrampe wartend, der Countdown läuft.

Anfangs, so Nicolas Godin hätten sie den Film nur in Schwarz-Weiß und in Bruchstücken gekannt. Die Farbe habe dann ihren Zugang beim Komponieren entscheidend verändert: "Wenn man sich den Film in Farbe anschaut, dann ist das wie in eine andere Dimension zu wechseln. Es ist nicht dasselbe, wie in Schwarz-Weiß; in Farbe vermittelt er ein ganz anderes Gefühl, wirkt lebendiger, irgendwie psychedelisch. Und das hatte sicherlich einen großen Einfluss auf unsere Musik. Ich glaube: Wäre der Film in Schwarz-Weiß, würde der Soundtrack anders klingen, wir hätten dann etwas komplett anderes gemacht."

13.000 Einzelbilder

Im Jahr 1902 inszenierte Melies in seinem Filmstudio diese erste Mondreise der Filmgeschichte. 13.000 kolorierte Einzelbilder als phantastischer Abdruck eines Kinomagiers. Melies brachte mit seiner Vergangenheit als Zauberer und Varietékünstler das Phantastische in den Film. Kino als Spektakel, mit Tricks und Effekten. Doppelbelichtungen, Stop-Motion, die Kulisse als Maschinerie.

Martin Scorsese setzt Melies in seinem neuen Film "Hugo Cabret" ein filmisches Denkmal, holt in Anlehnung an dessen Biografie den Filmpionier zurück auf die Kinoleinwand, und zeigt auch Ausschnitte aus der restaurierten Fassung der "Reise zum Mond", die so 110 Jahre nach seiner Entstehung auf doppelte Weise zu neuem Leben erweckt wird.

Psychedelischer Freudentanz

Für das Album haben Air den ursprünglichen Filmsoundtrack um einige Nummern ergänzt und leicht umarrangiert. Dabei sei es für sie eine gänzlich neue Erfahrung gewesen, so Jean Benoit Dunckel, Musik zu etwas bereits Bestehendem zu schreiben:

"Wenn man an einem Film arbeitet - an der Musik zu einem Film, dann ist ein bestimmter Rahmen vorgegeben. Alles darf so und so lange dauern, nicht länger. Bei einem normalen Album ist das anders. Da gibt es keine Grenzen, alles entsteht aus der eigenen Inspiration heraus, wächst aus persönlichen Erfahrungen und Gefühlen. Hier war der Film das Zentrale, die Bilder! Die Musik sollte ein Katalysator sein für die Gefühle, die diese auslösen. Das ist etwas ganz anderes - es geht hier um nichts Persönliches, sondern um den Film."

Und das merkt man dem Soundtrack auch an, der den fantastischen Bildern Melies neues Leben einhaucht und sie in die Gegenwart übersetzt. Ein psychedelischer Freudentanz, hin zum Mond und den Anfängen des Kinos.

Service

In Wien hat man am 27. April 2012 im Rahmen der vom Filmarchiv organisierten Reihe "Kino der Orte" die Gelegenheit, die restaurierte Fassung von "Le voyage dans la lune" samt Soundtrack in der Wiener Kuffner-Sternwarte zu sehen - im Doppelpack mit Fritz Langs "Die Frau im Mond".

Filmarchiv Austria