Morten Sondergaards Wortapotheke

Medizin gegen Missverständnisse

Jeder kennt das Phänomen: ein falsches oder falsch gedeutetes Wort und ein Gespräch kippt ins Unangenehme. Aus dem Irrgarten der Missverständnisse gibt es kaum ein Entrinnen. Mit einem ungewöhnlichen Kunstprojekt möchte der dänische Lyriker Morten Sondergaard nun Abhilfe schaffen. Er eröffnete eine "Wortapotheke".

"Substantive", "Verben" oder "Artikel" steht auf den Verpackungen die handelsüblichen Arzneischachteln verblüffend ähnlich sehen. Drinnen sind aber anstatt Pillen nur Beipackzettel zu finden, gleichsam Sprach-Gebrauchsanleitungen. Morten Sondergaards Wortapotheke ist eine weltweit einzigartige Einrichtung, gedacht für Sprach-Kollisions-Opfer und Kommunikations-Chaoten.

Wörter mit Beipackzettel

Bisher gab es die Wortapotheke nur in Dänemark, jetzt hat in Berlin die erste deutsche Filiale ihre Pforten geöffnet. Die Wortapotheke ist eine Intensiv-Station der deutschen Sprache. Praktisch für diejenigen, die täglich von Wortfindungsstörungen gequält werden, wie Journalisten oder Politiker, betont der Künstler Morten Sondergaard:

"In den Schächtelchen findet man den Beipackzettel, so wie man es üblicherweise von den Arzneimitteln kennt. Mit den allseits bekannten Warnhinweisen, von der Anwendung bis hin zu den Nebenwirkungen."

In der Wortapotheke gibt's alles, was die Sprache ausmacht: von Adverbien, den Umstandswörtern bis hin zu den Verben, den Tätigkeitswörtern. Wortarten, mit denen wir uns alltäglich umgeben, Wortarten die aber auch immer wieder Probleme bereiten, weil wir oft gar nicht wüssten, was sie bedeuten und wie wir sie zu nutzen hätten, meint Lyriker Morten Sondergaard. Was in Diskussionen immer wieder hinderlich ist.

"Dann gehe ich in die Apotheke, kaufe eine Packung Verben. Auf dem Beipackzettel stehen nämlich ganz viele Verben drauf, und da finde ich bestimmt, was mir fehlt."

Die Sprach-Schmarotzer

Höchst gefährlich, warnt Sprach-Apotheker Morten Sondergaard, sind die Pronomen, die immer Stellvertreterfunktion haben, weil sie eine Sache niemals konkret benennen, sondern immer nur ersetzen. Seiner Meinung nach können sie Empfindlichkeit, Bewusstseinsstörungen oder gar Ohnmacht auslösen. So steht's zumindest auf dem Beipackzettel.

Auch vor Adjektiven wird eindringlich gewarnt. Sie seien Worte ohne Substanz.

Gerade die Nebenwirkungen seien fatal, so Morten Sondergaard.

Gefährliche Nebenwirkungen

Morten Sondergaards Wortapotheke ist mehr als ein Kunstwerk. Sie bietet eine praktische Schneise durch das dichte Gestrüpp von Missverständnissen und Fehlinterpretationen: "Mit der Sprache ist es doch immer dasselbe: Wir wollen reale Dinge beschreiben, wollen etwas wirklich genau sagen, glauben die richtigen Worte zu finden, schaffen es aber einfach nicht. Sprache ist eben das alltägliche Rätsel, das wir zu lösen haben. Meine Medikamente sollen dabei helfen. Ich möchte einfach zeigen, dass man mit der Sprache äußerst vorsichtig umgehen muss, dass in ihr Sprengstoff lagert, dass sie Nebenwirkungen hat, die man einfach nie unterschätzen sollte."

In Dänemark ist die Wortapotheke von Morten Sondergaard bereits jetzt ein großer Erfolg und wird sogar in den Schulen als Lehrmittel eingesetzt. "Ich wuchs in einem Haus mit vielen Pillen, Büchern und Chaos auf", so Sondergaard. "Das gab mir die Idee, diese ganzen Dinge miteinander zu verbinden. Das Lustige an der Sprache ist doch, je mehr man sie benutzt, desto mehr Worte schwirren einem im Kopf. Sprache ist wie ein Baum, etwas, das wächst. Eben etwas Organisches und höchst Lebendiges."

Heilung mit den richtigen Medikamenten

Letztlich geht Morten Sondergaard ein existenzielles, aber unlösbares philosophisches Problem an, denn Sprache kommt schlicht nicht ohne Missverständnisse aus, und führt seit frühen biblischen Zeiten zu Übertragungsfehlern - mit zum Teil fatalen Folgen.

Die Wortapotheke soll für die Wirkung und Bedeutung der Worte sensibilisieren und ist auch ein durchaus amüsantes Angebot zur Wiederaneignung von Grammatik. Einen Rat sollten wir allerdings befolgen, meint Morten Sondergaard: Eher weniger als zu viele Worte machen, denn Sprache kann krank machen, aber Heilung ist in Sicht.

Text: Christoph Richter