Karl-Markus Gauß

JÖRG BURGER

Die Welt in der Wohnung

Karl-Markus Gauß zum 70er

Am 14. Mai dieses Jahres feiert der Salzburger Schriftsteller, Verleger und Essayist Karl-Markus Gauß seinen 70. Geburtstag. Was kann man über einen Mann schreiben, der von den deutschsprachigen Feuilletons als "Chronist des Alltags" (NZZ), als "unpathetischer Verfechter Europas" (Deutschlandfunk Kultur), als "Liebhaber der Welt" (Daniela Strigl) treffend beschrieben wurde?

Unermüdlich ist Gauß seit Jahrzehnten reisend unterwegs. Es gibt kaum eine Gegend in Mittel- und Südosteuropa, die er nicht besucht und kaum eine sprachliche Minderheit, über die er nicht geschrieben hat. Dafür wurde er vielfach ausgezeichnet, aber das ist müßig zu erwähnen. Sein Wissen ist enzyklopädisch, seine Neugier ungetrübt, sein Blick präzise und zugleich abschweifend.

"Die höchste Kunst ist für mich die Lebenskunst", Karl-Markus Gauß

"Die höchste Kunst ist für mich die Lebenskunst. Alle anderen Disziplinen sind Hilfswissenschaften. Wenn sie nicht dem Einzelnen helfen, im Leben Schönheit und Würde zu entdecken, haben sie ihren Zweck verfehlt", so Gauß.

Schönheit und Würde - das ist es, was er auf all seinen Reisen und in seinen Büchern aufspürt. Jeder Gegenstand, jede Architektur hat eine Geschichte und trägt ein Stück vom großen Ganzen in sich. Der Blick eines Bahnhofvorstehers irgendwo in der europäischen Provinz verrät möglicherweise mehr über unser Europa, als es die Feuilletons schreibend vermögen. Denn der unprätentiöse Augenblick, der Blick von Mensch zu Mensch, ermöglicht, dass "für kurz die Einheit des zerfallenden Lebens aufleuchtet, der Zusammenhang des Ganzen ('Schiff aus Stein')".

Immer will ich etwas, das gerade dabei ist zu verschwinden, ins Gedächtnis retten

Dass Bücher Überlebensmittel für Gauß sind, mag wenig überraschen. Mindestens 12.000 Exemplare finden in seiner Altbauwohnung am Fuß des Salzburger Mönchsbergs Platz. Ihre Existenz verrät aber doch etwas über ihn. Denn während Gäste des Hauses früher staunend ihre Bewunderung zum Ausdruck gebracht haben, liest Gauß mittlerweile aus den Blicken eher spöttische Nachsicht heraus, erzählt er schmunzelnd. Um ebenso fröhlich wie scharfzüngig zu entgegnen: "Wer aber schmeißt weg, was er nicht mehr braucht? Was ist das für eine rabiate Gesinnung."

Großmutters Kochbuch, ein Heiligtum

Drinnen wie draußen, ob auf Reisen quer durch Europa oder in der eigenen Wohnung, der Welt lässt sich überall nachspüren. Das hat Gauß mit seinem Buch "Abenteuerliche Reise durch mein Zimmer" bewiesen. Die Expedition durch die eigene Wohnung wird zur Welterkundung, eine ebenso persönliche wie historisch fundierte Reise in das Wesen der Dinge und in das private Reich von Karl-Markus Gauß. Darunter befindet sich auch, wie könnte es anders sein, ein Buch.

Karl-Markus Gauß

APA/HERBERT PFARRHOFER

Ein Kochbuch, nach dem kaum mehr gekocht wird, weil die Speisen darin viel zu fettig sind. Es versammelt 397 Familienrezepte, darunter zehn verschiedene Gulasche. Das Kochbuch der Großmutter ist ein familiäres Heiligtum, vielleicht, weil es auch von der alten europäischen Ordnung erzählt. Es führt nämlich in die einst multikulturell geprägte Vojvodina, heute Serbien, die Heimat seiner Eltern und Großeltern. 1944 wird die Familie von dort vertrieben, wie die gesamte Volksgruppe der Donauschwaben. Und weil die Vergangenheit und die Gegenwart über unzählige Bezüge zusammenhängen, erzählt es auch von unserem Europa heute.

"Immer will ich etwas, das gerade dabei ist zu verschwinden, ins Gedächtnis retten", schreibt Gauß in "Abenteuerliche Reise durch mein Zimmer". Wir hoffen, dass er diesen Ansporn nie verliert.