Dokumentation über und mit dem Autor

Wie John Irving die Welt sieht

John Irving gehört zu den amerikanischen Romanschriftstellern, die eine besonders enge Beziehung zum Kino haben. Bereits fünf seiner Romane wurden verfilmt, für das von ihm selbst verfasste Drehbuch zu "Gottes Werk und Teufels Beitrag" hat Irving sogar den Oscar gewonnen.

In zwei seiner Filme war er bisher in Nebenrollen zu sehen, jetzt setzt ihn eine Dokumentation ins Zentrum des Geschehens. Rechtzeitig zum 70. Geburtstag des Schriftstellers erscheint "John Irving und wie er die Welt sieht" in den heimischen Kinos.

Auf intime, oft fast abergläubische Weise sind Romanautoren mit ihrem Schreibtisch verbunden. Kaum einmal lassen sie Fremde an ihr Allerheiligstes heran, schon gar nicht, wenn es sich dabei um ein ganzes Filmteam handelt. John Irving hat eine Ausnahme gemacht und den deutschen Regisseur André Schäfer und seine Crew in sein Landhaus in Vermont eingeladen. Beim Kochen, beim Spaziergang mit seinem Hund und beim täglichen Fitnesstraining lässt sich Irving beobachten und bereitwillig gibt er auch Einblick in seine Schreibwerkstatt.

Wie ein Architekt entwerfe er seine Romane, bevor er mit dem eigentlichen Schreiben beginne, erzählt Irving. Eine Art Landkarte lege er an, bestehend aus lauter Notizen, als Erinnerungshilfe auf seiner Reise durch die Geschichte.

Recherchen in der ganzen Welt

Seine erste Leidenschaft, noch lange vor dem Schreiben, war das Ringen. Bis Mitte Dreißig war Irving Wettkampfsportler, später Kampfrichter. Die endlosen und monotonen Trainingseinheiten hätten ihn aber für das Schreiben geschult.

Der Film beobachtet aber nicht nur Irving und zeichnet seinen Werdegang nach, er macht sich auch auf die Suche nach den Ursprüngen seiner Romane und spürt deren Schauplätze auf. Ein Tätowierstudio in Toronto, das Rotlichtviertel in Amsterdam und eine Nervenklinik in Zürich: Irving habe vor Ort für seine Bücher recherchiert, erzählen dort drei Ärztinnen.

Auch ein Kirchenorganist, eine Gourmetköchin und ein Polizist berichten im Film, wie Irving ihnen bei ihrer Arbeit ganz genau auf die Finger geschaut hat. Daneben greift Irving für seine Recherche auch auf ein weltumspannendes Netzwerk zurück, zu dem auch seine Lektorin in Zürich zählt.

Ambivalentes Verhältnis zu Wien

Der Film schafft es, ganz ohne Off-Kommentar auszukommen. Die geschickt arrangierten Interviews erzählen John Irvings Schreibmethode, ausgesuchte Textstellen aus seinen Romanen illustrieren das Gesagte. Eine Passage aus dem Roman "Das Hotel New Hampshire" entführt auch nach Wien. Anfang der 1960er Jahre hat John Irving zwei Semester in Wien studiert - offensichtlich eine prägende Zeit, denn die Stadt kommt in nicht weniger als sieben von Irvings Romanen als Schauplatz vor.

Irvings Verhältnis zu Wien ist allerdings ambivalent. Er habe Wien zwar nicht gehasst damals, erzählt er, dass unter der oberflächlichen Gemütlichkeit eine kleinstädtische Fremdenfeindlichkeit geschwelt hätte, habe er aber schon unangenehm gespürt.

"John Irving und wie er die Welt sieht" ist ein stimmungsvolles Roadmovie, das einem Schriftsteller nicht nur von Toronto nach Amsterdam und von Zürich nach Wien folgt, sondern auch bei seinen Grenzübertritten zwischen Wirklichkeit und Fiktion.