Die Senior Design Factory in Zürich
Design verbindet Generationen
Reden bringt die Leute zusammen, lautet ein Sprichwort. Gemeinsam arbeiten, noch viel mehr. Davon sind die beiden Endzwanziger Deborah Biffi und Benjamin Moser überzeugt. Die Designer haben vor einem Jahr die Senior Design Factory in Zürich gegründet. Menschen ab 75 spielen dabei die Hauptrolle.
8. April 2017, 21:58
Samstag früher Nachmittag. Im Hinterzimmer eines kleinen Ladens in Zürichs aufstrebendem Kreativ-Bezirk Züri West geht ein Strick-Workshop dem Ende zu. Rund zehn Frauen sitzen bei Kaffee und Kuchen an einem langen Holztisch, ganz ins "Lisme" vertieft, wie Stricken auf Schweizerdeutsch heißt. Dazwischen schwirrt eine zierliche Frau jenseits der 70 herum und gibt den Frauen Anweisungen. Auf dem Kopf trägt sie eine grüne Wollmütze. Hinter einer auffälligen dunkelvioletten Brille funkeln ihre lebendigen Augen hervor.
Bis zu ihrer Pensionierung war die 76-jährige Margit Bünzli Lehrerin in einer Volkschule. Heute bringt sie jungen Frauen und Männern das Stricken bei, das in den letzten Jahren Jahren den Mief der altmodischen Handarbeitsbeschäftigung abgeschüttelt hat. Stricken kommt so manchem Berufstätigem als beruhigender Ausgleich zur Bildschirmarbeit gelegen. Es verschafft schnell ein Erfolgsgefühl und liefert Alt und Jung Gesprächsstoff. Stricken war schon immer Margrit Bünzlis große Leidenschaft. Seit einem Jahr gibt sie nun regelmäßig am Samstagvormittag im Hinterzimmer des Shops der Senior Design Factory ihr Handwerk weiter, was sie sichtlich beschwingt.
Jung und Alt zusammenbringen
Gemeinsam haben die zwei ehemaligen Designstudenten Deborah Biffi und Benjamin Moser vor einem Jahr die Senior Design Factory gegründet. Der Anklang an Warhol ist durchaus gewollt. Wie der Pop-Art-Künstler mit seiner Factory Künstler aus verschiedenen Disziplinen zusammenbringen wollte, so wollen Biffi und Moser junge und ältere Menschen mit unterschiedlichen Backgrounds zusammenbringen.
Die Idee dazu ist vor fünf Jahren während ihrer Abschlussarbeit an der Zürcher Hochschule für Gestaltung entstanden. Diese führte sie auf der Suche nach einem Ort, an dem Design nicht alltäglich ist, in ein Altersheim. Dort, so Deborah Biffi, sahen sie Handlungsbedarf.
Im Altersheim trafen Moser und Biffi auf so manchen kreativen und motivierten Bewohner, der obendrein ein Handwerk beherrschte, das die beiden Jungdesigner nicht gelernt hatten, und der gerne aus dem Ghetto Altersheim ausbrechen wollte. So begannen sie zu stricken, zu nähen, zu malen und Rezeptbücher zu produzieren. Heraus kamen dabei nicht nur schöne Alltagsgegenstände sondern auch Kunstwerke, wie ein fünf Meter lange Socken.
Im kleinen Laden, der im Frühling 2011 eröffnet wurde, gibt es heute neben gefilzten Behältern, handgewebten Geschirrtüchern und gestrickten Mützen auch schöne Dinge für die Generation 70 plus, die von anderen Designern stammen, etwa Stöcke, die in allen erdenklichen Farben an den Wänden hängen.
Speisen aus "Grossmutters Küche"
Ein paar Häuser weiter hat sich in einem Ecklokal im vergangenen Herbst die Café-Filiale der Senior Design Factory niedergelassen. Ein langer alter Holztisch nimmt eine Seite des Raumes ein. An den Wänden hängen Küchenutensilien aus vergangener Zeit, die mit einer Designlampe, komplett eingestrickt, kontrastieren.
Eine Dame mit mittellangem grauen Haar und einem adretten beigefarbenem Schürzchen nimmt Bestellungen auf. Früher hat die 69-Jährige, die eigentlich noch ein wenig zu jung für die Senior Design Factory ist, in einem Altersheim gearbeitet. Heute ist Priska Frei ein bis zwei Mal die Woche im Service, wie sie sagt.
Auf der Speisekarte des Cafés stehen Speisen aus "Grossmutters Küche", etwa ein Brotkuchen, der zum Dessert serviert wird. Die Frühstücksmarmelade stammt von Frau Sonja, wie man der Speisekarte entnehmen kann. Den Honig liefert ein 70-jähriger Imker. An die fünfzehn Senioren und Seniorinnen wechseln sich beim Kellnern ab. Wie Priska Frei. Sie ist auch privat ganz schön gefordert. Sie passt regelmäßig auf ihre vier Enkelkinder auf.
Geduld beim Gestalten
Das Senioren-Netzwerk der Senior Design Factory umspannt heute an die 80 Personen. Das sei auch notwendig, denn gesundheitliche Wehwehchen, so Benjamin Moser, zwingen den einen oder die andere auch mal zum Pausieren - und ab und zu stirbt auch jemand, sagt Moser, "das gehört halt einfach dazu".
Dazu gehört wohl auch, dass die Kommunikation zwischen Jung und Alt nicht immer ganz harmonisch läuft. Manche der Generation 70 plus würden sich nicht so leicht tun, sich auf etwas Neues einzulassen, meint Benjamin Moser. So hätte eine Dame einmal erbost einen Strickkreis verlassen, weil sie aufgefordert worden war, hie und da eine Masche fallen zu lassen, um etwas zu experimentieren. Auch das Wort Design würden sie öfters mit dem Begriff "Gestalten" umschreiben, sagt Deborah Biffi schmunzelnd. Schließlich sei sie auch ein wenig geduldiger geworden und habe auch gelernt, manchmal einen Gang zurückzuschalten.