Biografische Skizzen von F. C. Delius
Als die Bücher noch geholfen haben
Friedrich Christian Delius hat sich seiner Vergangenheit gewidmet: "Als die Bücher noch geholfen haben" heißt das Werk, in dem Delius biografische Skizzen zusammengefügt und versucht hat, Fragen zu beantworten, die ihm im Lauf der Zeit immer wieder gestellt wurden.
8. April 2017, 21:58
"Wie war das so von der Schulbank unter das Zirkuszelt der Literatur zu springen? Ja, mit einem Sprung nach oben. Wie war es in den 68er-Zeiten überhaupt mit der Literatur? Stimmt das überhaupt mit dem Tod der Literatur? Ich erzähle ja, das war ganz anders, das ist ein völlig falsches Bild, das da herrscht", so der Autor im Gespräch "Ich bin immer wieder gefragt worden, wie war dieser Konflikt mit Wagenbach denn nun wirklich, und ich bin immer und werde auch gefragt: Also diese Prozesse, die da liefen, wie war das eigentlich? Da kommt dann doch eine ganze Menge zusammen."
Freude durchs Schreiben
Es ist ein differenziertes und oft überraschendes Bild entstanden von einer Vergangenheit, in der die literarische Szene noch ganz anders aussah als heute. Delius erzählt von seinen schriftstellerischen Anfängen, als er etwa mit zehn Jahren einen Weltplan erstellte und als Beruf selbstbewusst "Dichter" angab.
Einige Jahre später sind seine Zukunftsträume realistischer: Lektor will er werden, oder auch Redakteur. Zunächst aber geht es für den jungen Mann nach Princeton, wo er vor der "Gruppe 47" Gedichte vorträgt, Peter Handke aus der Nähe beobachten kann und durch Susan Sontag erfährt, dass man am Schreiben durchaus Freude haben darf.
Zitat
Auch ich, da brauchte ich gar nicht viel nachzudenken, schrieb aus Freude. Selbst wenn ich aus Trauer schrieb, wie bei frühen Gedichten, selbst wenn ich mich an einer politischen Polemik versuchte, schrieb ich aus Freude oder mit dem Ziel, mich an einer gelungenen oder je nach dem Stand des Epigonentums gelungen scheinenden ästhetischen Lösung zu freuen. Dazu gehörte der handwerkliche Stolz auf die Reihen schwarzer Buchstaben, von den Fingerspitzen und den Typenhebeln auf weißes Papier geschlagen, Zeile für Zeile, Absatz für Absatz, Seite für Seite. Das Vergnügen an dem fast Fertigen, dem mehr oder minder Gelungenen war die höchste Belohnung. Aber Frau Sontag war die erste, die mir nach fünf Jahren Lehrzeit das Schlüsselwort zum Verständnis meiner von zu vielen Skrupeln begleiteten Schreibtätigkeit lieferte: Freude.
Diskussionen bei Wagenbach
Beim Verlag Wagenbach findet der junge Friedrich Christian Delius bald eine literarische Heimat. Aber das viel bewunderte Verlagskollektiv scheitert an Diskussionen über die Haltung zur RAF, und Delius stellt diesen Streit in all seinen Einzelheiten dar:
"Es ging darum, aus dem Denken der Zeit heraus begreiflich zu machen, wie es dahin kommen konnte, dass so intelligente Leute wie dort in dem Verlag sich sozusagen der politischen Richtung der RAF doch mehr angenähert haben, als sie hinterher zugegeben haben", sagt Delius. "Dass das der eigentliche Spaltungsgrund gewesen ist, über den ich ja deshalb berichte, weil das wirklich ein Schock damals war für sehr viele. Also das Wagenbach-Kollektiv war sozusagen ein Vorbild für ganz viele, und auf einmal verstrickt sich dieses Kollektiv in einem Binnenkampf, den niemand nach außen hin verstanden hat."
Zoff mit Siemens
Ein weiterer Schwerpunkt des Textes ist der Prozess, den Siemens in den 1970er Jahren gegen den jungen Autor anstrengte. Stein des Anstoßes ist eine Festschrift, durch die sich Siemens verleumdet fühlt, und Delius lässt die Details des Rechtsstreits Revue passieren, wobei er mitunter einigermaßen technisch wird:
"Es ist ja niemand verpflichtet, das zu lesen, aber die Leute, die es lesen, die sollen dann auch ansatzweise richtig informiert werden und die Problematik der Sache verstehen. Es ging ja um ganz viel: um die Frage der Kunstfreiheit, die Nazi-Vergangenheit des Siemens-Konzerns, und dann eben die grundsätzlichen literarischen Fragen, also wie weit ist Dokumentarliteratur literarisch als Kunst zu bewerten, wie weit nicht."
Damit wendet sich Delius' neues Buch eingestandenermaßen an den Literatur-interessierten und -kundigen Leser. Es lässt eine Vergangenheit lebendig werden, in der berufliche Werdegänge nicht auf dem Reißbrett entworfen wurden und junge Autoren, wie Delius meint, es doch irgendwie einfacher hatten:
"Das Wort Karriere, das gab es nicht. Das war uns wurscht. Heute ist es eben so, dass jeder doch sehr bemüht ist, dass da, wo er einmal einen Fuß reinbekommt, auch zu bleiben, und sich nicht einfach nach Laune oder Instinkt irgendwo anders hinzubegeben. Und wir konnten damals sehr nach dem Instinkt gehen. Ich denke, für Leute, die heute mit dem Schreiben anfangen, ist es verdammt schwieriger als zu meiner Zeit."
"Weise" Bücher
Es sind interessante Einblicke, die Friedrich Christian Delius gewährt, in Deutschlands literarische Vergangenheit und auch in seinen eigenen Werdegang. Er berichtet von seinen Begegnungen mit Schriftstellern aus der damaligen DDR wie Heiner Müller oder Günter Kunert, oder er erzählt, wie der Rotbuch-Verlag, der sich nach dem Wagenbach-Streit bildete, die damals noch unbekannte Herta Müller entdeckte.
Eine Frage freilich wirft der Titel des Werks fast zwangsläufig auf: Helfen Bücher denn heute nicht mehr?
"Ja, natürlich helfen Bücher noch jedem, der sich von Büchern helfen lassen will", antwortet Delius. "Ich habe diese Überschrift gegeben für das Ganze, weil ich von den Zeiten erzähle, wo vielleicht Bücher allgemein noch wichtiger waren, aber dass sie heute helfen, ist ja gar keine Frage. Es gibt ja nichts Handlicheres, Weiseres als die Bücher, mit denen man sich sozusagen die Erfahrungen der ganzen Welt auf die witzigste Weise, intelligenteste Weise hineinziehen kann und aneignen kann. Ich habe ein bisschen auch diese Gegenfrage provoziert, natürlich."
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Friedrich Christian Delius, "Als die Bücher noch geholfen haben. Biografische Skizzen", Rowohlt
Friedrich Christian Delius
Rowohlt - Als die Bücher noch geholfen haben