"Die Tribute von Panem" startet
Düstere Gesellschaftsvisionen im Kino
Die Zukunft ist im Kino eine ernüchternde Angelegenheit: Statt Utopien zeichnen die meisten Filme dystopische Visionen auf die Leinwand. Die Zivilgesellschaft zerfällt, die Demokratie wird von neuen Faschisten demontiert, die Menschen vegetieren in einer lebensfeindlich gewordenen Welt vor sich hin.
8. April 2017, 21:58
Zukunftsfantasien im Science-Fiction- oder Fantasykino sind immer auch Warnschüsse: Die Geschichten fordern mehr zwischenmenschliche Solidarität und Toleranz ein. Außenseiter werden zu Helden und arbeiten zusammen, um die Unterdrücker zu beseitigen.
Solche Motive spielen auch in der Jugendliteratur eine immer größere Rolle: Man braucht nicht viel Fantasie, um in den Kampf zwischen Harry Potter und Lord Voldemort politische Dimensionen hinein zu lesen. Noch offensiver behandelt aber eine aktuell höchst erfolgreiche Jugendbuchreihe dystopische Perspektiven: in "Die Tribute von Panem" erzählt die amerikanische Autorin Suzanne Collins von Jugendlichen, die in einem futuristischem Gladiatorenspiel gegeneinander kämpfen müssen. Bis zum Tod. Und zum Amüsement der Oberschicht.
Kampf ums Überleben
Die "Hungerspiele" nennt die totalitäre Regierung einen alljährlichen Wettkampf zwischen Jugendlichen. Mit scharfen Waffen kämpfen sie in einem Freiluft-Areal um ihr Überleben. Das brutale Spektakel wird von Tausenden Kameras in die Wohnzimmer der aristokratischen Oberschicht vom Bezirk 1 übertragen.
Katniss kommt aus dem Bezirk 12, in dem Kohle abgebaut wird. Und eigentlich ist sie statt ihrer kleinen Schwester bei den "Hungerspielen". Die entschlossene junge Frau ist eine talentierte Jägerin und durchschaut als einige der wenigen die Oberfläche des Spektakels. Ins Leben gerufen wurden die "Hungerspiele" nämlich nur, um eine Auflehnung der proletarischen Bevölkerung gegen die besitzende Oberklasse schon im Keim zu ersticken. Um die Macht des Systems zu beweisen. "Brot und Spiele" nannte man das im alten Rom. Damals wie heute geht es vor allem darum, eine gute Show zu liefern.
Schon vor dem Startschuss wird Katniss von einem Image-Berater herausgeputzt. Denn nur wer begehrenswert ist, erweckt das Interesse von Sponsoren. Und die sind überlebenswichtig.
Vergangenheit in der Zukunft
Für die Kino-Adaption des ersten Teils der Jugendbuchreihe "The Hunger Games" zeichnet Gary Ross verantwortlich - eine ungewöhnliche Wahl, sind doch die beiden anderen Regiefilme des Amerikaners, darunter auch die Gesellschaftsparabel "Pleasentville", eher dem gehobenen Unterhaltungsfilm, sicher aber nicht dem Spektakelkino zuzurechnen.
Entsprechend ernsthaft geht er dann auch mit dem dystopischen Stoff um: Mit Wackelbildern und hoher Schnittfrequenz versucht er, Katniss' Odyssee nachfühlbar zu machen. Die Zukunftsidee von "Die Tribute von Panem" ist im Grunde eine paraphrasierte Vergangenheit; nicht zufällig gemahnen die Regenten und ihr Hofstaat an absolutistische Monarchien und römische Diktatoren-Cäsaren. Katniss ist eine Art moderner Spartacus. Unfreiwillig muss sie an einem menschenverachtenden Spiel teilnehmen und lernt schließlich, die Schwächen des arroganten Systems für sich selbst nutzbar zu machen.
Fast wie Reality Fernsehen
Einen ähnlichen Ansatz wählt Stephen King für seine Geschichte "Menschenjagd"; 1987 wird sie für das Kino adaptiert. Arnold Schwarzenegger spielt in "Running Man" einen verurteilten Mehrfachmörder, der an einer Fernsehshow teilnimmt. Die Kandidaten, allesamt Inhaftierte, werden von Auftragskillern durch ein unterirdisches Labyrinth gejagt. Wer überlebt, gewinnt seine Freiheit zurück. In den Händen von Regisseur Paul Michael Glaser wird Stephen Kings Kurzgeschichte zu einem brachial-unterhaltsamen Actionspektakel ausgebaut, die gesellschaftskritischen Ansätze werden von einer Armada von Schauwerten zur Strecke gebracht.
Alle Dystopien suchen nach der menschlichen Würde und mahnen sie ein. Und zumindest jene, die sich mit dem Konzept des modernen Gladiatorenkampfes auseinandersetzen, lassen sich zum Großteil auf eine Kurzgeschichte des amerikanischen Autors Robert Sheckley zurückführen: 1958 antizipiert er in "Der Tod spielt mit" viele Mechanismen des Reality-Fernsehen, die mittlerweile Wirklichkeit geworden sind. Sein Protagonist nimmt darin an TV-Shows teil, in denen sein Leben auf dem Spiel steht. Im finalen Wettbewerb wird er von schwer bewaffneten Jägern gehetzt. Die Zuseher vor den Bildschirmen können ihm entweder hilfreiche Tipps geben, oder aber seine Verfolger unterstützen. 1970 inszeniert der deutsche Regisseur Tom Toelle den Stoff als "Das Millionenspiel": Bei seiner Erstausstrahlung sorgt die täuschend echt nachinszenierte Menschenjagdshow für einen Skandal.
Nach Vorlagen von Robert Sheckley
"Das Millionenspiel" bleibt bis heute ein sehr einflussreicher und durchaus visionärer Fernsehfilm, der unter anderem das vergleichbare französische Projekt "Le Prix du Danger" aus den frühen 1980er Jahren beeinflusst. Der erste Regisseur, der sich mit der Thematik auseinandersetzt, ist allerdings der Italiener Elio Petri. Ein exzentrischer und experimentierfreudiger Regisseur, inszeniert er 1965 "Das zehnte Opfer".
Erneut basiert der Stoff auf einer Vorlage von Robert Sheckley. In zehn Runden kämpfen ein Jäger und ein Gejagter um das Überleben. Und die ganze Welt sieht dabei zu. Schon darin findet sich das Motiv einer solchen Show als Beschäftigungstherapie für potenzielle Revolutionäre. Wieder sollen Aufstände schon im Keim erstickt werden.
Extremes aus Japan
Die bisher extremste Variation des Topos kommt allerdings wenig überraschend aus Japan: 2000 inszeniert Kinji Fukasaku "Battle Royale", basierend auf dem gleichnamigen Roman. Der harte Thriller spielt in der nahen Zukunft, in der die Regierung zufällig ausgewählte Schulklassen gegeneinander kämpfen lässt, bis nur mehr ein Jugendlicher lebt.
Aufgrund seiner extremen Gewaltdarstellungen und perfiden Inszenierung in Pop-Ästhetik sorgt "Battle Royale" bei seinem Ersterscheinen für große Kontroversen und wird in einigen Ländern sogar verboten. Trotz aller spekulativen Effekte darin ist die gesellschaftsphilosophische Konsequenz, die Fukasaku darin zieht, vielleicht schwer verdaulicher, aber auch weitaus befriedigender als diejenige in "Die Tribute von Panem". Denn während das amerikanische Erzählkino selbst im größten Chaos noch Werte sucht und findet, dominiert in "Battle Royale" beinharter Nihilismus. Welche dieser beiden Entwürfe der Wirklichkeit näher steht, ist eine Frage, die jeder für sich beantworten muss.