Theater mit Außenseitern

"Messer-Mord" von God's Entertainment

Sie polarisieren, sie provozieren und sie sind wohl Österreichs anarchischste Off-Theatertruppe: das interkulturelle Team von God's Enterainment. Seit circa sechs Jahren gibt es diese Truppe, die kein klassisches Theater im eigentlichen Sinn macht.

Man arbeitet als Kollektiv, setzt auf Mitmach- und Straßentheater und arbeitet oft mit Menschen, die sonst nicht auf der Bühne stehen: mit Drogensüchtigen, mit Prostituierten oder Arbeitslosen. Ihr jüngstes Projekt verwirklichen sie mit Haftentlassenen aus Berlin und Wien.

Ausgehend von Büchners "Woyzeck" und den persönlichen Lebensgeschichten der Ex-Häftlinge haben sie das Stück "Messer-Mord: Klinge steckte noch in der Brust" erarbeitet. Das Stück wurde im Dezember in Berlin uraufgeführt und nun für Wien weiterentwickelt. Gezeigt wird es ab Freitag, 30. März 2012, auf der Bühne des brut in Wien.

Kulturjournal, 30.03.2012

In der "Kronenzeitung", der "Bild" und den Wiener Gratiszeitungen "Österreich" und "Heute" hat die Gruppe God's Entertainment die künstlerische Inspiration für ihr jüngstes Stück gefunden. Mit den Schlagzeilen der Tageszeitungen könne man die Leute manipulieren, meint Simon von God's Entertainment. Nachnamen tun nichts zur Sache, man versteht sich als Kollektiv.

Dort, wo die Schlagzeilen aufhören, das öffentliche Interesse abflacht, dort setzt die Gruppe mit ihrem jüngsten Projekt an: nach der Tat, nach der Verurteilung, nach der Haft. Wie schmal ist der Grat, der Menschen von einer Straftat trennt, wo sind die Schwächen des Systems und welche Rechts- und Moralvorstellungen haben wir gemeinhin. Büchners "Woyzeck" schien für diese Fragestellung das geeignete Stück.

"Wir haben uns gedacht, jede Theatergruppe muss einmal im Leben 'Woyzeck' machen", sagt Simon, "und wer könnte das am besten spielen? Da sind wir auf Leute gekommen, die im Gefängnis waren und haben sie gefragt, ob sie Bock haben, das mit uns zu machen."

"So, wie sie sind"

"Wir haben die Leute gefragt, wie weit sie bereit sind, ihre Erfahrungen preiszugeben", erzählt Maija von God's Entertainment, und: "Sie sind so, wie sie sind als Woyzeck auf der Bühne."

Gerit ist einer von rund zehn ehemaligen Häftlingen, die an dem Projekt beteiligt sind. Er hat kein Problem damit, sich selbst auf der Bühne zu präsentieren und von seiner Straftat - schwerer Körperverletzung - zu sprechen. Vom Schwarzfahrer über den Computerbetrüger bis hin zum Totschläger - auf der Bühne sind sie alle nur eines: Woyzeck.

Grenzen überschreiten

God's Entertainment arbeiten schon seit sechs Jahren im deutschsprachigen Raum. Mit ihren Mitmachtheateraktionen überschreiten sie ganz bewusst Grenzen, oft auch die des guten Geschmacks. Da gab es zum Beispiel die Performance "Fight Club" wo zwei Performer, gesteuert durch Lichtsignale aus dem Publikum, aufeinander einprügelten. Ähnlich wie beim Milgram-Versuch wurde hier die Gewaltbereitschaft des Publikums ausgetestet, was zu gebrochenen Rippen, blauen Augen und eingeschlagener Nase führte.

Schlechte Kritiken seien manchmal ein Indikator für den richtigen Weg, meint Simon. Nicht der perfekte Ablauf, das theatrale Moment sei entscheidend, sondern welche Energie entstehe, wenn man mit Theater-fremden Menschen brisante und politische Themen auf die Bühne oder ins öffentliche Bewusstsein bringe. Denn oftmals ist die Straße ihre Bühne, wie bei "Passantenbeschimpfung", wo Drogensüchtige frei nach Handkes "Publikumsbeschimpfung" auf Vorbeigehende einschimpften; oder "Stadt ist anders", wo ein weißer Darsteller einen Schwarzen niederprügelte, um die fehlende Zivilcourage aufzuzeigen.

Mit therapeutischem Theater habe es auf alle Fälle nichts zu tun, sagt Maja: "Die einzigen, die Therapie nehmen können, sind die Zuschauer, die nur kommen um live irgendwelche Knackis zu sehen."

Textfassung: Ruth Halle

Service

Ö1 Club-Mitglieder bekommen im brut ermäßigten Eintritt (EUR 6,-).

brut Wien