Paradefall Chodorkowski

Putin 3.0: Menschenrechtler ohne Reformhoffnung

In einem Monat wird Wladimir Putin zum dritten Mal das Amt des russischen Präsidenten übernehmen. Mit politischen Reformen oder gesellschaftlicher Öffnung darf kaum gerechnet werden, kritisieren Menschenrechtler. Das zeigt unter anderem die Weigerung des scheidenden Präsidenten Dmitrij Medwedew, den in Haft sitzenden Ex-Ölunternehmer Chodorkowski zu begnadigen.

Mittagsjournal, 4.4.2012

Carola Schneider hat in Moskau mit dem Menschen- und Bürgerrechtler Lew Ponomarjow über die politische Stimmung in Russland und Putins nächste Amtszeit gesprochen.

"Um Begnadigung nicht angesucht"

Viel ist in den letzten Wochen spekuliert worden über die mögliche Begnadigung des ehemaligen Ölmagnaten Michail Chordorkowski. Er sitzt seit 2003 in Haft, er wurde unter anderem wegen Steuerhinterziehung und Geldwäsche verurteilt. Die Urteile gelten als politisch motiviert, hatte sich Chodorkowski doch mit der Wirtschaftspolitik Putins angelegt und die Opposition unterstützt. Doch der scheidende Präsident Medwedew will von einer Begnadigung nichts wissen: Diese sei nicht möglich, weil der prominente Häftling gar nicht darum angesucht habe.

"Willenlos und schwach"

Das sei nur ein Vorwand, allerdings ein vielsagender, kritisiert der renommierte Bürgerrechtler Lew Ponomarjow: "Medwedew kann kraft seines Amtes als Präsident begnadigen, wen er will, auch ohne Ansuchen. Dass er es nicht tut, bedeutet, dass er es nicht will. Diese Entscheidung betrifft außerdem nicht nur Chodorkowski, sondern weitere 30 politische Gefangene, die unschuldig verurteilt wurden und deren Freilassung wir seit langem fordern. Medwedew zeigt einmal mehr, dass er ein willenloser und schwacher Präsident ist und in Wahrheit nicht er die Entscheidungen trifft."

"Tägliche Dummheiten"

Es ist Wladimir Putin, der die Zügel der Macht in der Hand hält, auch wenn er derzeit nur Regierungschef ist. Und die politischen Ereignisse der letzten Wochen seien daher auch ein Vorgeschmack auf die nächste Amtszeit Putins als Präsident, meint Bürgerrechtler Ponomarjow. Seien es Gerichtsurteile gegen kremlkritische Geschäftsleute oder die Isolationshaft mehrerer Mitglieder der Punk-Band Pussy Riots, die in einer Kirche Anti-Putin-Lieder gesungen hatten: "Konservative und reaktionäre Kräfte haben derzeit freie Hand. Putin hat im Präsidentschaftswahlkampf auf sie gesetzt und mit ihrer Hilfe gesiegt. Nun wollen diese Kräfte bedient werden. Deshalb gibt es jetzt auch täglich solche Dummheiten wie schwulenfeindliche Gesetzesprojekte oder etwa ein Stalin-Porträt auf Schulbüchern."

"Imperiale, reaktionäre Entwicklung"

Putin halte dieser konservativen Strömung nichts entgegen, meint Lew Ponomarjow, was bedeute, dass er diesen politischen Weg beschreiten wolle, innen-und außenpolitisch: "Putin setzt auf eine imperiale, reaktionäre Entwicklung Russlands, wie er es im Wahlkampf immer betont hat. Doch dies wird zum politischen Zusammenbruch und vielleicht zum Zerfall des Landes führen. Welches Imperium kann bestehen, wenn es nur vom Öl und Gas abhängt? Russland kann sehr leicht wirtschaftlich in die Knie gezwungen werden."

Langer Weg Richtung Demokratie

Tiefgreifende Reformen seien unter Putin nicht zu erwarten, meint Lew Ponomarjow. Dennoch rechnet er mit einem politischen Wandel des Landes: "Putin wird weiter autoritär regieren, doch seine Beliebtheit ist drastisch gesunken. Deshalb besteht die Chance, dass die demokratischen und liberalen Kräfte stärker werden und dass sich die Bürgergesellschaft immer mehr politisch engagiert." So werde sich Russland allmählich in Richtung Demokratie entwickeln, hofft Bürgerrechtler Lew Ponomarjow, auch wenn dieser Weg noch lang sei.