Wendelin Schmidt-Dengler und der Fußball
Ballgefühl am Spielfeldrand
Für Wendelin Schmidt-Dengler war seine Liebe zum Fußball "eine Protesthaltung gegenüber dem Milieu, in dem er aufgewachsen ist einerseits", erinnert sich Maria Schmidt-Dengler, die Witwe des 2008 verstorbenen Literatur- und Sprachwissenschaftlers Wendelin Schmidt-Dengler, "und mit den Jahren die 'Welthaltigkeit' dessen, was sich am Spielfeld abspielt" zwischen Sieg und Niederlage.
8. April 2017, 21:58
Hamlet oder Happel
In den 1990er Jahren begann der Germanist, regelmäßig Fußball-Glossen zu schreiben. Eine Auswahl dieser Texte wurde nun im Buch "Hamlet oder Happel. Eine Passion" zusammengefasst und herausgegeben vom Publizisten Helmut Neundlinger, ehemals Dissertant bei Wendelin Schmidt-Dengler, der seinen Nachlass aufgearbeitet hat. Die Texte seien zwar verstreut publiziert worden, aber bildeten "irgendwie einen sehr dichten Zusammenhang", so Neundlinger.
Spontane Kolumnen zu großen Turnieren während Europa- und Weltmeisterschaften, philosophische, ja sogar theologischen Gedanken mit Kultur- und Literaturwissenschaftlichen, aber auch biografischen Elementen. So schrieb Wendelin Schmidt-Dengler in seinem Text "der Werdegang eines Fans":
Zitat
Meine familiäre Disposition für den Fußball-Fan war denkbar ungünstig. Selbst spielte ich nicht gut, eher verbissen Fußball. Mein Vater verachtete den Fußball, war mehr auf meine humanistische Ausbildung bedacht und drillte mich in der deutschen und lateinischen Grammatik und schleppte mich am Sonntag ins Kunsthistorische Museum.
So wurde der Fußball für Schmidt-Dengler "ein bisschen eine Gegenwelt zur intellektuellen Beschäftigung", sagt Neundlinger.
Verbrüderung im Geiste
Im Gegensatz zu Wendelin Schmidt-Dengler war ein anderer seiner ehemaligen Dissertanten in seiner Jugend ein wahres Fußball-Talent: der Schriftsteller Ferdinand Schmatz.
"Das ist mir einfach zugeflogen", meint er. "Das Schwierige war eher das Sich-davon-lösen." Als er bemerkte, dass "das soziale Gefüge in Ausrichtung auf ein gewisses Leistungsverhalten (ist), das hat mir irgendwie Angst gemacht und da wollte ich weg."
Inzwischen ist Ferdinand Schmatz mehrfacher Literaturpreisträger. Trotzdem blieb Fußball für ihn ein Thema - ohne Anspruch, "ihn in literarische Kriterien hinüberdrehen zu wollen", wie er betont. Wenn auch aus verschiedenen Perspektiven, vollzog sich im Austausch mit Wendelin Schmidt-Dengler über "Fußball" eine Art Verbrüderung im Geist der "liebsten Nebensache der Welt": "Er am Spielfeldrand und ich drinnen und auch am Rand, das war wirklich ergiebig."
Auf Augenhöhe
Was Wendelin Schmidt-Dengler am Fußball tatsächlich faszinierte, war das Spiel – das Unvorhersehbare, der Scharfblick mancher Spieler, der Teamgeist, die Zusammenarbeit.
"Was ich am Fußball, an meinem Mann unglaublich geschätzt habe war, dass ihm das ermöglicht hat, mit dem Fleischhauer oder dem Portier sich auf Augenhöhe zu besprechen und ein gemeinsames Thema zu haben", sagt Maria Schmidt-Dengler.
Mit seinem Interesse am Sport ist es Wendelin Schmidt-Dengler gelungen, seine Themengebiete Germanistik und Literatur auch Menschen nahezubringen, die damit normalerweise wenig anfangen können. Und Fußball interessierte den Wissenschaftler auch, obwohl oder gerade weil er immer wieder in Kritik gerät und bekannterweise auch radikale Massen bewegt.
"Wir haben immer gesagt, uns ist lieber, die Massen brüllen am Fußballplatz als am Heldenplatz", so Maria Schmidt-Dengler.
Literarische Außenseiter
Wendelin Schmidt-Dengler hat für Ö1 die Serie "Literarische Außenseiter" gestaltet.
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Service
Wendelin Schmidt-Dengler, "Hamlet oder Happel. Eine Passion", hrsg. von Helmut Neundlinger, Klever Verlag