Blinder Anwalt brach aus Hausarrest aus

Dissident in US-Botschaft geflüchtet?

Die spektakuläre Flucht des blinden Dissidenten Chen Guangcheng aus seinem Hausarrest sorgt weiter für Aufsehen. Glaubwürdigen Quellen zufolge soll sich der Anwalt in der US-Botschaft in Peking in Sicherheit gebracht haben. Weder die USA noch China wollen dies bisher bestätigen. Eine Fluchthelferin wurde festgenommen.

Morgenjournal, 30.4.2012

Peking Jörg Winter berichtet aus über das nächste PR-Desaster für Chinas Führung nach dem Sturz eines höchstrangigen KP-Funktionärs.

Unter Schutz der US-Vertretung?

Chen Guangcheng ist gelungen, was niemand für möglich gehalten hat. Mit Hilfe von Freunden bricht er aus seinem streng überwachten Haus in der ostchinesischen Provinz Shandong aus. Unbemerkt von den Beamten in Zivil, die ihn dort illegal, ohne gesetzliche Grundlage, seit fast zwei Jahren festhalten. Seine Familie lässt Chen zurück. Über ihr Schicksal ist derzeit nichts bekannt. Die Anzeichen mehren sich jedoch, dass der blinde Anwalt nach Peking gebracht wurde und dort unter Schutz der US-Vertretung steht. Möglicherweise befindet er sich sogar auf dem Gelände der amerikanischen Botschaft. Er soll bereits den Botschafter selbst getroffen haben, erzählt ein Freund des Anwalts.

Video-Botschaft an Premier

Zuvor hatte der Menschenrechtsaktivist, der seit Jahren illegale Zwangsabtreibungen im Rahmen der Ein-Kind-Politik angeprangert hat, in einer Internet-Botschaft die chinesische Führung auf eine Art und Weise herausgefordert wie das wenige vor ihm gewagt hatten. Er wendet sich direkt an Premierminister Wen Jiabao: "Herr Premierminister, mir ist endlich die Flucht gelungen. Alle Gerüchte über Gewaltanwendung gegen mich und meine Familie sind wahr. Sie müssen meinen Fall persönlich untersuchen lassen. Wer hat den Befehl gegeben, dass Beamte in Zivil in mein Haus eindringen, mich schlagen und verletzen ohne rechtliche Grundlage? Wer hat den Befehl dafür gegeben? Ich will, dass mein Fall auf der Basis chinesische Gesetze abgehandelt wird."

Zensurwelle

Der hier angesprochene schweigt bisher. Auch Chinas Medien verlieren über den spektakulären Fall kein Wort. Die Behörden reagieren mit einer Zensurwelle. Die populären Kurznachrichtendienste lassen sich heute teilweise nicht öffnen. Postings, die den Namen des blinden Dissidenten beinhalten oder auch nur Wortkombinationen wie "blinde Person" wurden gelöscht, die Suche danach gibt auf den Mikroblogs keine Ergebnisse mehr. "Chen ist auf externe Hilfe angewiesen. Er sucht die Hilfe der USA, weil er keine andere Option mehr hat. China hat gegenüber keinem Land mehr Skrupel außer gegenüber den USA. Und somit ist es nur logisch, dass sich Chen unter den Schutz der Amerikaner begeben hat", sagt Johnny Lau, ein politischer Kommentator in Hongkong, der dort anders als auf dem chinesischen Festland offen reden darf.

Problematische Lage für USA

Nach dem spektakulären Sturz des KP-Granden Bo Xilai ist Chinas Führung jetzt mit der nächsten Peinlichkeit konfrontiert. Sollte sich Chen Guangchen tatsächlich in der US-Botschaft aufhalten, dann stellt das auch die USA vor Probleme. Die Amerikaner haben wiederholt Menschenrechtsverletzungen in China angeprangert. Der Fall des chinesischen Dissidenten könnte den China-Besuch von Außenministerin Clinton in den kommenden Tagen belasten. China und die USA sind bei wirtschaftlichen Themen voneinander abhängig, die USA brauchen das Wohlwollen Chinas im Umgang mit Syrien und dem iranischen Atomprogramm. Menschenrechtsaktivisten haben andere Sorgen – sie fürchten, dass Chens Familie, sowie Freunde und andere Dissidenten jetzt schwer unter Druck kommen.

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