Zunehmender Islamismus an den Hochschulen

Uni-Krawalle in Tunesien

Von Tunesien ging jene Rebellion gegen Diktatoren aus, die als Arabischer Frühling in die Geschichte einging. In Tunesien, Libyen und Ägypten stürzten die Diktatoren, doch droht aus dem demokratischen Frühling ein islamistischer Winter zu werden.

In Tunesien sind vor allem die Hochschulen, und unter ihnen primär die Universität in Manouba, das Ziel der Islamisten, um ihre Forderungen durchzusetzen.

Kultur aktuell, 03.05.2012

Demonstrationen an den Hochschulen

Sie halten Transparente hoch und rufen ihre Forderungen lautstark in die Menge. Ihre Gesichter sieht man nicht. Nur ihre Augen. Die Frauen tragen einen Niqab, einen traditionellen schwarzen Gesichtsschleier, der in Verbindung mit einem schwarzen Gewand getragen wird, das den gesamten Körper bedeckt. Eine junge Demonstrantin trägt hingegen eine modische Sonnenbrille und ihre Fingernägel sind knallrot lackiert. Ihr volles schwarzes Haar fällt auf die Schultern. Sie trägt ein Poster, auf dem nur das Wort geschrieben steht: "Laizismus!". Westlich aussehende Studierende demonstrieren gegen traditionell islamisch gekleidete Kommilitoninnen.

Szenen wie diese gehören inzwischen zum Alltag an der angesehenen Universität von Manouba, im nordöstlichen Tunesien, eine der größten Hochschulen des Landes. Von den zirka 26.000 Studierenden sind 60 Prozent Frauen. In 14 Fakultäten unterrichten 1.500 Hochschullehrer. Von ihnen sind 61 Prozent Frauen. Und so verwundert es auch nicht, dass bei den Demonstrationen dieser Tage überdurchschnittlich häufig weibliche Studierende präsent sind.

Frauen sollen den Niqab tragen

Jenna Marzouki studiert Literaturwissenschaften und Französisch. Sie demonstriert gegen den Versuch, sagt sie, das Land zu einem Talibanstaat nach afghanischem Vorbild zu machen: "Die Bewegung für das Tragen des Niqab versucht hier eine Art Putsch. Sie wollen uns ihre Glaubensvorstellungen aufzwingen. Der Niqab ist nur der erste Schritt in Richtung islamischen Gottesstaates. Mit Hilfe einer neuen Verfassung wollen sie uns ihre Macht aufzwingen."

So versuchen vor allem Salafisten, jene islamistischen Gruppierungen, die den Koran besonders streng auslegen, in der neuen Verfassung das Tragen des Niqab für Frauen in der Öffentlichkeit durchzusetzen, also auch an Hochschulen. Salafistische Studentengruppen an der Uni in Manouba fordern auch, dass Frauen nicht an allen Fakultäten studieren dürfen und sich ganz generell "züchtiger" geben sollten.

Habib Kazdagli ist Rektor der Hochschule von Manouba. Er ist entsetzt über die jüngsten Entwicklungen: "Die Religiösen blockieren den Lehrbetrieb. Sie fordern doch allen Ernstes, dass diejenigen, die wie im Westen leben wollen, nach Frankreich oder sonst wohin auswandern sollen. Sie stellen das bisher in Tunesien geltende Prinzip des laizistischen Staates in Frage. Das gesamte Lehrperson klagt diese Situation an."

Niqab als "trojanisches Pferd"

An den 193 Hochschulen Tunesiens gibt es nur rund 300 Niqab-Trägerinnen. Tendenz steigend. Rektor Kazdagli versuchte zunächst, das Tragen des islamischen Gesichtsschleiers zu verbieten. Das führte zu einer scharfen Rüge durch den Unterrichtsminister in Tunis. Dazu muss man wissen, dass die islamistische Ennadda-Partei an der tunesischen Regierung beteiligt ist. Sie gewann bei den ersten freien Parlamentswahlen mehr als ein Drittel der Parlamentssitze.

Mehr oder weniger direkt unterstützt durch diese Partei fordern salafistische Studentengruppen nun die vollständige Islamisierung der Hochschulen. Das Tragen des Niqab, befürchten laizistisch eingestellte Studierende, sei nur das trojanische Pferd dieser Islamisten, um langsam, aber sicher die Hochschulen unter ihre Kontrolle zu bringen.