Aussöhnung in weiter Ferne

Vor Prozessbeginn gegen Ratko Mladic

In Den Haag beginnt am Mittwoch der Prozess gegen den serbischen Kriegsverbrecher Ratko Mladic. Angeklagt ist Mladic wegen Vertreibung, Mord, Geiselnahme und zwei Mal wegen Völkermordes. In Bosnien und Herzegowina spalten der Krieg und Ratko Mladic als Person nach wie vor Bosniaken und Serben.

Ratko Mladic vor Tribunal in Den Haag

Ratko Mladic, der in den 90er Jahren im Krieg Kommandant der bosnischen Serben war, muss sich vor allem für das Massaker von Srebrenica verantworten. Dort haben im Sommer 1995 serbische Soldaten 7.000 bosnische Männer ermordet. Es geht aber nicht allein um das Verbrechen von Srebrenica, sondern um Mladics Rolle während des gesamten Krieges, in dem serbische Soldaten tausende bosnische Moslems und Kroaten vertrieben und umgebracht haben. Das Kriegsverbrechertribunal in Den Haag hat versucht, die Anklage auf möglichst konkrete Taten zu konzentrieren, damit sich der Prozess nicht zu lange zieht. Denn Mladic ist 70 Jahre alt und gesundheitlich angeschlagen.

Die Anwälte von Ratko Mladic haben beantragt, das Verfahren um ein halbes Jahr zu verschieben. Sie hätten nicht genug Zeit gehabt, alle Unterlagen zu studieren.

Bosniaken und Serben sind über Mladic uneinig

Wie sehr Mladic Bosniaken und Serben mehr als 15 Jahre nach Kriegsende noch immer spaltet, zeigt bereits eine Straßenbefragung in Sarajewo. Im Ostteil der Stadt leben praktisch nur Serben. Einer von ihnen bewertet Mladic so: "Ratko Mladic war ein Soldat und sicher ein korrekter Mensch. Wenn sich das tatsächlich in Srebrenica ereignet hat, dann bin ich sicher, dass er es nicht er hat es nicht angeordnet hat." In der Innenstadt Sarajewos, in der großteils muslimische Bosniaken leben, ist eine andere Meinung über Ratko Maldic zu hören: "Er braucht keinen Prozess, er sollte sofort öffentlich exekutiert werden, das hat er verdient," sagt einer der Bewohner.

Gespaltene Meinung zu Massaker in Srebrenica

Auch Meinungsumfragen untermauern diese Spaltung, denn in Bosnien und Herzegowina fehlt ein gemeinsames Geschichtsbild ebenso, wie eine Aufarbeitung der Vergangenheit. Völlig verschieden sind etwa Wahrnehmung und Bewertung des Massakers von Srebrenica. 96 Prozent der Bosniaken haben davon gehört und ebenso viele bewerten Srebrenica als Kriegsverbrechen. Bei den bosnischen Serben haben nur 54 Prozent davon gehört. Nur jeder Vierte von ihnen bewertet Srebrenica als Kriegsverbrechen und nicht als Begleiterscheinung des Krieges. Der Vorsitzende des Veteranenverbandes der bosnischen Serben, Pantelija Curguz, sieht auch eine Mitschuld der Bosniaken: "In Srebrenica haben von 1992 bis 1995 enorme Verbrechen stattgefunden. Dort wurden mehr als 3.000 serbische Zivilisten ermordet und Dutzende Dörfer vernichtet. Und dann kam es zu den Ereignissen von 1995, wo Angehörige der bewaffneten Formationen sich selbst das Recht genommen haben, all das heimzuzahlen. Deswegen sind die Ereignisse von 1995 als eine Art von Revanche und Rache zu sehen."

Keine Anerkennung der Opfer der Gegenseite

Die Ansicht, das Massaker von Srebrenica sei die Rache für die Ermordung serbischer Zivilisten gewesen, wird wiederum von den Bosniaken massiv abgelehnt. Sie zahlten im Krieg den höchsten Blutzoll: Insgesamt kamen etwa 100.000 Personen um. Rund 70 Prozent davon sind Bosniaken, 22 Prozent Serben und sieben Prozent Kroaten. Zählt man nur die Zivilisten, entfallen mehr als 80 Prozent der Opfer auf Bosniaken. Jedes der drei Völker in Bosnien und Herzegowina sieht sich nach wie vor nur als Opfer und nicht als Täter. Angesichts dieser politischen Atmosphäre wird der Prozess gegen Ratko Mladic die Spaltung im Land wohl eher vertiefen. Wenn Bosnien und Herzegowina als Staat eine Zukunft haben soll, muss es zu einer umfassenden Aussöhnung kommen, die weit über die juristische Aufarbeitung des Krieges hinausgeht.