Die Rede von Peter Daser im Wortlaut
Bundespräsident Heinz Fischer hat am 24.5.2012 den Robert-Hochner-Preis an ORF-Radio-Innenpolitikredakteur Peter Daser übergeben. Aus diesem Anlass hat Peter Daser die folgende Rede gehalten.
8. April 2017, 21:58
Sehr geehrter Herr Bundespräsident, Frau Fischer, werte Gäste!
Vom Korruptions-Untersuchungsausschuss im Parlament war jetzt viel die Rede. Die Berichterstattung darüber ist nur ein kleiner Teil der Arbeit in der Radio-Information des ORF. Aber Sie wissen: Das Ganze hat sich in den letzten Monaten zu einer Art Abrechnung entwickelt, einer Abrechnung über Politiker und über Politik in Österreich.
Dabei geht es nicht so sehr um Gesetzesbrüche - die sind Sache der Justiz. Es geht um etwas anderes: Es geht um das, was man tun darf, und was man nicht tun darf. Nicht weil es im Gesetz steht, sondern weil es anständig ist oder weil es nicht anständig ist.
Es geht um Ethik.
Dabei ist es nicht Sache der Reporter, das zu beurteilen. Wir berichten nur, was da offengelegt wird. An Freundschaften und Bekanntschaften und Netzwerken - und dem vielen Geld, das sich schnell verdienen lässt, wenn man die richtigen Leute kennt. Beurteilen - das können die Hörerinnen und Hörer selbst. Denn dafür ist der öffentlich-rechtliche Rundfunk da: um objektiv zu informieren, und informierte Bürger sind mündige Bürger.
Nur: reine Objektivität ist eine Fiktion.
Journalisten sind Menschen und Menschen unterliegen Einflüssen. Aber diese Einflüsse möglichst gering zu halten, darum muss man sich bemühen. Nur so kann man diesem Wert der Objektivität und damit der Glaubwürdigkeit möglichst nahe kommen. Daher ist die Bedingung für Objektivität das Bemühen um die Unabhängigkeit von Einflüssen.
Das ist überhaupt die Existenzgrundlage für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk: Unabhängigkeit und Glaubwürdigkeit.
Und auch da – es geht um Ethik.
Für die einzelnen Journalisten heißt das: es genügt nicht, wenn wir dem Publikum Unsauberkeiten und Unvereinbarkeiten in der Politik vorführen. Wir müssen auch selbst bereit sein, Kritik zu akzeptieren - an unserer Arbeit, an uns selbst, an dem, wie wir Journalisten uns verhalten. Das kann persönlich mühsam sein - aber: „Journalismus tritt nie außer Kraft“, um hier meinen ehemaligen Chefredakteur Karl Amon zu zitieren.
Für den einzelnen Journalisten muss es ganz selbstverständlich sein, dass man Distanz hält zu jenen, über die wir berichten. Und es soll die gleiche Distanz zu allen sein. Natürlich ist es wichtig, eine gute Gesprächsbasis zu haben. Aber was da in unserer Branche gerne als "Kontakt- und Informantenpflege" umschrieben wird - das kann man auch ganz einfach als Verhabern sehen. Ein persönliches Naheverhältnis und das professionelle Ziel der Objektivität, das ist nicht vereinbar.
Ebenso muss es für den einzelnen Journalisten ganz selbstverständlich sein, dass man sich nicht - sozusagen privat - engagieren lässt, um Veranstaltungen zu moderieren und ähnliche Dinge. Da gibt es zwar Fälle, wo das nicht so problematisch ist. Aber dass man sich bezahlen lässt von jenen, über die man selbst berichtet, das geht nicht. Auch das ist nicht vereinbar.
Also: Wenn wir Journalisten Politiker und ihre Unsitten vorführen, dann müssen wir das auch zum Anlass für Selbstkritik nehmen. In der Politik und bei den Journalisten:
Es geht um Ethik.
Sie wissen vielleicht, es gibt seit kurzem einen Verhaltenskodex für ORF-Redakteure, der das regelt - Nebenbeschäftigungen und die Unabhängigkeit von wirtschaftlichen und von politischen Interessen.
Es ist gut, wenn der öffentlich-rechtliche Rundfunk in so einer Sache vorangeht. Denn wenn hier die Redakteurinnen und Redakteure um Unabhängigkeit kämpfen, dann geschieht das ganz öffentlich. Der Protest gegen die Besetzung hoher Posten -und es ging um mehrere, nicht nur um einen-, das war eine öffentlich geführte Debatte.
Die Kollegen von der Zeit im Bild haben dafür den Concordia-Preis für Pressefreiheit erhalten. Darauf kann der ganze ORF stolz sein! Denn wenn Redakteure öffentlich Kritik an Dingen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks üben - dann ist das keineswegs rufschädigend, wie einige meinen.
Es ist das genaue Gegenteil.
Es gut für den Ruf des Rundfunks, weil es gut ist für die Glaubwürdigkeit. Denn natürlich ist es so: auch Journalisten riskieren -für sich persönlich, für ihre Karriere, für ihr Fortkommen- viel mehr, wenn sie sich mit der eigenen Geschäftsführung anlegen, als mit irgendeinem Parteisekretariat.
Und umgekehrt gilt auch: dass die Geschäftsführung des ORF den Protest letztlich zugelassen hat - auch das hat dem Image und der Glaubwürdigkeit des öffentlich-rechtlichen Rundfunks sicher nicht geschadet. Im Gegenteil.
Wie gesagt: Das ist die Existenzgrundlage für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk: Glaubwürdigkeit und Unabhängigkeit. "Schon der Eindruck der Abhängigkeit ist fatal", ich zitiere da den Verfassungsjuristen Walter Berka. Es genügt, wenn Politiker Personalwünsche an den ORF äußern oder das öffentlich so darstellen, und selbst wenn diese Wünsche dann gar nicht umgesetzt werden - das ist es, was der Glaubwürdigkeit schadet. Und nicht der Protest der Redakteure gegen solche Einflüsse.
Aber es reicht nicht, wenn die Unabhängigkeit des öffentlich-rechtlichen Rundfunks am persönlichen Mut seiner Dienstnehmer hängt. Denn bei aller Kritik: Es gibt eben jetzt eine Geschäftsführung, die das zulässt. So etwas kann sich aber ganz schnell wieder ändern.
Daher muss natürlich der ORF als Ganzes unabhängig sein, und das muss auch institutionell unzweifelhaft so festgelegt sein. Dafür gibt es jetzt eine Chance, wenn an einer ORF-Reform gearbeitet wird.
Wie auch immer dann die Gremien neu geregelt werden, also wer die Stiftungsräte bestimmt und wie viele das sind: Es muss für die dann selbstverständlich sein, dass sie sich dem Unternehmen verpflichtet fühlen, dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk als öffentlicher Angelegenheit, als Sache der Gesellschaft, als Sache der Bürger.
Und nicht als Sache einer Partei.
Und weil auch diese Ansicht kürzlich geäußert wurde: Die Regierung, die ist nicht die Eigentümerin des ORF.
Der ORF gehört der Allgemeinheit, er gehört den Bürgern. Und er gehört nicht den Parteien oder anderen Interessensgruppen.
Natürlich muss eine Gesetzesänderung auch anachronistische Regeln reparieren - zum Beispiel, dass man auch social media nutzen darf, wenn das inzwischen eine wesentliche Kommunikationsform geworden ist. Oder dass der ORF nicht jedes Jahr betteln muss, wenigstens einen Teil der Gebühren zurück zu bekommen, die ihm dank gesetzlicher Vorschriften entgehen.
Dabei ist schon klar: auch der ORF muss sparen. Und das geschieht seit Jahren, eigentlich, seit ich mich erinnern kann in diesem Unternehmen. Aber das Sparen hat Folgen: denn weniger Geld heißt in unserer Branche weniger Leute. Und das heißt weniger Zeit für Recherche, weniger Zeit fürs Nachdenken, fürs Hinterfragen und so weiter.
Es stellt sich die Frage, ob das manchen von jenen, die diese Gesetze machen, die den ORF in diese Situation gebracht haben - dass denen das vielleicht ganz recht ist.
Also: bei der Unabhängigkeit, da geht es eindeutig auch um Geld. Wenn man dauernd am Tropf hängt, wenn man von der Politik absichtlich in Abhängigkeiten gebracht wird, dann ist das sehr schwer.
Und trotzdem: am Ende sind es nicht das Geld und die Gesetze, die eine Redaktion ausmachen. Am Ende sind natürlich die Menschen. Und ich persönlich hab da großes Glück - die Radio-Information des ORF ist eine ganz hervorragende Redaktion. Ich geh da jeden Tag gern hin.
Und wenn Sie mich heute auszeichnen, dann gilt das genauso meiner Redaktion. Man funktioniert als Reporter nicht alleine. Man braucht Techniker, die einen überhaupt auf Sendung bringen, man braucht Sekretariate, die das alles organisieren, man braucht kompetente Kollegen, mit denen man sich über die Arbeit austauschen kann, mit denen man über die Themen diskutieren, und die man um Rat und um Kritik bitten kann.
In der Radio-Information haben wir Reporter und Moderatoren, die ihren Beruf wirklich ernst nehmen, die ihren Beruf als Berufung sehen. Das sind einfach gute Journalisten. Allen voran möchte ich da meinen Kollegen Andreas Jölli nennen. Der hätte den Preis heute genauso verdient.
Und noch einer- ohne den das alles gar nicht geht:
Denn die ganze Unabhängigkeit und Objektivität und so weiter - das alles bleibt nur ein frommer Wunsch, wenn man nicht einen Chef hat, der das trägt. Einen, der seine Leute unterstützt, der ihnen den Rücken stärkt, nach innen im Unternehmen und nach außen. Der ihnen die Interventionen vom Leib hält, der den Freiraum zum Denken schafft, der Rücksicht nimmt auf die Bedürfnisse der einzelnen.
Denn erst kommen die Arbeitsbedingungen, und dann kommt die Ethik.
Mein Chef und mein journalistisches Vorbild ist seit vielen Jahren Hannes Aigelsreiter. Der Herr Bundespräsident hat ja insgesamt schon drei Kolleginnen und Kollegen vor mir den Robert-Hochner-Preis übergeben, die sind alle aus seiner Redaktion gekommen. Das kann kein Zufall sein.
Danke.