Roman von Gerbrand Bakker
Der Umweg
Nach einer Affäre mit einem ihrer Studenten verlässt die Protagonistin ihren Ehemann. Hals über Kopf und ohne irgendjemandem Bescheid zu geben flüchtet sie aus Amsterdam in ein kleines walisisches Dorf. Dort siedelt Gerbrand Bakker seinen neuen Roman "Der Umweg" an.
8. April 2017, 21:58
Der Ort sei der Ausgangspunkt jedes seiner Romane, sagt Bakker. Bevor er nicht einen Handlungsort festgelegt habe, könne er gar nicht erst zu schreiben beginnen. In der unglaublich schönen und inspirierenden Landschaft von Wales habe er selbst viel Zeit verbracht, erzählt der diplomierte Gärtner. Und seine ausgeprägte Liebe zur Natur spürt man in den eindringlichen, jedoch nie romantisierenden Beschreibungen, die einen mitten ins nebelverhangene Moor und auf die grau-grünen Weiden der Grafschaft versetzen.
In diese Einöde zieht sich die Protagonistin zurück. Sie mietet ein kleines, abgeschieden gelegenes Cottage, das sie nur spärlich möbliert: eine Matratze, ein Teppich und einige Pölster.
Gefühlswelt im Zentrum
Vergleichsweise karg fällt auch die Ausstattung der Erzählung aus: Die Frau, ihr Mann und ein Bub, das sind die wenigen Hauptfiguren, über die wir nur vage Informationen erhalten, und die im Laufe der Handlung nicht allzu viel erleben. Wie auch in seinen Vorgänger-Romanen "Oben ist es still" und "Juni" legt Bakker mehr Wert auf die Erzeugung einer Gefühlswelt und weniger auf eine ausgeklügelte Geschichte.
Die Frau leidet an einer unheilbaren Krankheit, an der sie vermutlich auch sterben wird. Welche das ist, bleibt unausgesprochen. Generell wird in den Büchern Bakkers nicht viel geredet. Und auch die Figuren, die Frau, der Bub und ein Polizist bleiben lange namenlos. Dadurch sei es etwas Größeres als eine bloße Familiengeschichte geworden, erklärt Bakker. Die Anonymisierung der Charaktere hebt die Handlung auf eine allegorische Ebene.
Am deutlichsten wird das anhand der Rolle des Buben, der eines Tages in die selbst gewählte Einsamkeit der Frau platzt. Er springt einfach über den Gartenzaun und nistet sich im Häuschen der Frau ein. Sie trinken Wein, kochen gemeinsam und nähern sich langsam einander an. Die Frau fühlt sich einerseits gestört in ihrem Alleinsein, andererseits kommt sie auch nicht von ihm los, bis sie ihn eines Tages in einer überraschenden Wendung einfach in den Keller sperrt. Gerbrand Bakker selbst deutet die doppelsinnige Figur einerseits als einen Engel, andererseits aber auch als den Tod.
Hommage an den Schmerz
Das Innenleben der Figuren bleibt dem Leser größtenteils verborgen. Das habe unter anderem damit zu tun, dass er selbst nur ungern Bücher lese, in denen allzu viel psychologisiert werde, sagt Gerbrand Bakker.
Bakker versucht der Gefühlslage der Menschen über bloße Andeutungen beizukommen, Andeutungen, die er selbst oft erst im Nachhinein verstehe. Dass die Hauptperson in "Der Umweg" depressiv erscheine, lasse sich etwa darauf zurückführen, dass er selbst in der Zeit des Schreibens unter Depressionen gelitten habe, und zwar ohne es zu wissen.
Bakker schreibt seine Hommage an den Schmerz und das Leiden in gewohnt reduzierter Manier. Je einfacher die Sprache, desto schwieriger sei es auch, eine Botschaft zu vermitteln, meint Gerbrand Bakker. Dennoch oder gerade deswegen hält er eine einfache, kahle Sprache für seine Werke am besten geeignet.
Auch diesmal ein Meister der leisen Töne
Im Prolog taucht ein kurzes Gedicht von Emily Dickinson in englischer Sprache auf. Der Tod und die Todeserwartung gehörten zu Dickinsons bevorzugten Themen. Das ganze Buch hindurch versucht die Frau dieses Gedicht zu übersetzen, was ihr am Ende auch gelingt. Bakker selbst hat an der Übersetzung ins Niederländische sechs Monate gearbeitet. Das Buch sei auch sein persönlicher Versuch, das Gedicht gründlich zu erforschen, sagt der studierte Sprachwissenschaftler.
Mit "Der Umweg" ist dem "Meister der leisen Töne", wie Gerbrand Bakker auch genannt wird, abermals ein unaufgeregtes, kleines Kunstwerk gelungen. Alles scheint in diesem melancholisch-subtilen Roman durchdacht, selbst der Titel könnte treffender nicht sein. Er beschreibt nicht nur den oft irreführenden Verlauf der Geschichte, sondert spiegelt auch die intuitive Schreibweise des Autors wider, die niemals geradlinig von A nach B verläuft.
Service
Gerbrand Bakker, "Der Umweg", aus dem Niederländischen übersetzt von Andreas Ecke, Suhrkamp Verlag
Suhrkamp - Der Umweg