Regelungen offenbar menschenrechtswidrig

Verfassungsgerichtshof prüft Obsorge-Recht

Der Verfassungsgerichtshof prüft die Obsorge-Regelungen in Österreich. Das Wiener Landesgericht für Zivilrechtssachen hat den betreffenden Antrag gestellt, da man der Ansicht ist, dass unverheiratete Väter benachteiligt sind, wenn sie für ihre Kinder die Obsorge wollen. Der Druck auf die Regierung, das Obsorgerecht zu reformieren, steigt.

Mittagsjournal, 12.6.2012

"Rechtslage ist diskriminierend"

Wenn der Verfassungsgerichtshof Teile der österreichischen Obsorgeregelungen für verfassungswidrig erklärt, wäre das die zweite derartige Entscheidung. Denn schon vor knapp eineinhalb Jahren hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in einem von einem Vater vorgebrachten Fall gegen Österreich entschieden. Wie Waltraud Berger, Sprecherin des Wiener Landesgerichts für Zivilrechtssachen, bestätigt, hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in einem Fall ausdrücklich gesagt, dass die derzeitige Rechtslage Väter unehelicher Kinder diskriminiert. Trotzdem sind bisher alle Reformversuche an Meinungsverschiedenheiten zwischen ÖVP und SPÖ gescheitert.

Im konkreten Einzelfall, der nun auf Antrag des Wiener Landesgerichts vom Verfassungsgerichtshof geprüft wird, geht es um ein sechsjähriges Mädchen bzw. seinen Vater. Im Gesetz steht wörtlich: "Mit der Obsorge für das uneheliche Kind ist die Mutter allein betraut." So war es auch in diesem Fall, denn unverheiratete Väter haben nur zwei Chancen auf alleinige oder gemeinsame Obsorge. Erstens: Wenn die Mutter zustimmt. Oder zweitens: Wenn die Mutter nachweislich das Kindeswohl gefährdet.

Schlechtere Chancen für Väter

Landesgerichtssprecherin Waltraud Berger sagt, dass das aus Sicht des Menschenrechtsgerichtshofes eine Benachteiligung gegenüber verheirateten Vätern sei. "Der verheiratete Vater hat auch nach der Scheidung grundsätzlich gemeinsam mit seiner geschiedenen Frau und Mutter der Kinder die gemeinsame Obsorge. Der uneheliche Vater hat nur die Chance, die Obsorge über sein Kind zu bekommen, wenn die Mutter das Kind gefährdet. Der hat also viel schlechtere Chance zu einer Obsorge über das Kind zu kommen."

Ball liegt beim Gesetzgeber

Trotzdem bezweifelt sogar Andrea Wukovits, die Anwältin des betroffenen Vaters, aus formaljuristischen Gründen, dass der Verfassungsgerichtshof das Gesetz aufhebt. Aber die Anwältin hofft, dass der Verfassungsgerichtshof Druck auf die Bundesregierung macht, eine behutsame Gesetzeskorrektur vorzunehmen.

Neu ist die Problematik ja nicht, sagt Gerichtssprecherin Waltraud Berger: "Dass Handlungsbedarf besteht, ist dem Gesetzgeber sicherlich bewusst." Es werde am Parlament liegen, die Rechtslage so in Ordnung zu bringen, dass sie dem Europäischen Menschenrechtsgerichtshof und seinen Anforderungen gerecht werde.

Geheimer Gesetzesentwurf?

Dem Vernehmen nach gibt es im Justizministerium eine Art geheimen Gesetzesentwurf. Möglicherweise sieht er ein eingeschränktes Obsorge-Antragsrecht für unverheiratete Väter vor. Gespräche zwischen Justizministerin Beatrix Karl (ÖVP) und Frauenministerin Gabriele Heinisch-Hosek (SPÖ) sind für die nächsten Wochen geplant. Diese Gespräche und die Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs könnten entscheidend sein dafür, ob - mehr als zwei Jahre nach den ersten Versuchen von Ex-Ministerin Claudia Bandion-Ortner - doch noch eine Obsorge- und Familienrechtsreform zustande kommt.