Kairo: Begeisterung und Angst nach Mursi-Sieg

Die Zeichen, ägyptischer Präsident zu werden, standen nicht allzu gut für Mohammed Mursi. Am Sonntag erklärte die Wahlkommission den Muslimbruder aber doch zum Sieger. Das macht viele Menschen in Ägypten zufrieden, sogar viele Menschen, die mit den Muslimbrüdern eigentlich nicht viel anfangen können.

Mittagsjournal, 25.6.2012

ORF-Korrespondent Karim El-Gawhary berichtet aus Kairo.

Auch Nicht-Anhänger der Muslimbrüder atmen auf

Auf dem Tahrir-Platz in Kairo findet die Wahlparty der Sieger statt. Hunderttausende sind auf dem Platz zusammengeströmt. Eine der Feiernden zeigt sich unendlich glücklich: "Ich kann das gar nicht in Worte fassen. Es ist ein unbeschreibliches Gefühl, über ein betrügerisches Regime einen Sieg errungen zu haben und das besonders, weil der Militärrat mit uns in letzter Zeit ein ziemlich böses Spiel gespielt hat und wir schon ziemlich niedergeschlagen waren."

Für viele war die Verkündung des Wahlsieges Mohammed Mursis ein großes Aufatmen, auch wenn sie selbst keine Anhänger der Muslimbruderschaft sind, wie der Kinderarzt Mahmud Sabri: "Mir ist das Herz fast stehengeblieben, als sie das Wahlergebnis verkündet haben, so angespannt war ich. In den Tagen davor, haben sie unsere Nerven auf die Folter gespannt. Ich habe Mursi gewählt, um Shafik zu verhindern, weil der der Inbegriff des alten Regimes ist."

"Alle gegen den Militärrat"

Alle hier wissen, dass der Kampf mit dem Militärrat noch bevor steht. Der beschnitt bereits nach der Schließung der Wahllokale in einer Übergangsverfassung die Macht des neu gewählten Präsidenten massiv. Der Kinderarzt Sabri: "Mursi selbst ist nicht stark. Seine eigentliche Stärke bezieht er durch uns auf dem Tahrir. Wir werden hinter ihm stehen und so lange hier bleiben, bis sie ihm alle seine Machtbefugnisse zurückgegeben haben."

Die junge Feiernde hofft, dass die Muslimbrüder dem Militärrat gegenüber keine Zugeständnisse machen: "Die Muslimbrüder müssen wissen, dass wir Ägypter gesammelt hinter Mursi stehen. Außerdem ist es unbedingt notwendig, dass sich alle politischen Kräfte gegen den Militärrat zusammentun."

Angst vor einem Gottesstaat

Doch nicht alle in Ägypten feiern. Wenige hundert Meter vom Tahrir-Platz entfernt sorgt sich eine Unterstützerin von Ahmed Shafik vor allem, dass ein Muslimbruder als Präsident dem Land eine islamistische Ausrichtung geben wird: "Ich bin sehr traurig, die Situation in der wir uns befinden, gefällt mir gar nicht. Ägypten wird sich mit den Muslimbrüdern nicht zum Guten entwickeln. Deswegen bin ich wirklich deprimiert. Es ist sehr gut möglich, dass die Muslimbrüder aus Ägypten einen Gottesstaat machen. Das Problem bei den Muslimbrüdern ist, dass sie die Religion falsch verstehen, das macht mir wirklich Angst. Vielleicht zwingen sie mir etwas gegen meinen Willen auf. Deswegen ist es nur natürlich, dass ich mich vor ihnen fürchte."

Wie viele Shafik-Wähler versucht sie, sich mit dem Wahlergebnis abzufinden: " Mursi hin, Mursi her, ich bete zu Gott, dass ich am Ende mit meiner Einschätzung falsch liege und dass bei den Muslimbrüdern doch etwas Gutes herauskommt."

Versöhnliche Töne von Mursi

Mursi hat in einer ersten Fernsehansprache versöhnliche Töne angeschlagen, auch in Richtung Shafik-Wähler. Er hat sich als Präsident aller Ägypter bezeichnet und sie aufgefordert, das Land jetzt endlich gemeinsam voran zu bringen. Die 48 Prozent, die Ahmed Shafik gewählt haben aber, haben sich eher zurückgezogen und wundern sich, wie es mit Ägypten weitergeht.

Die anderen schießen auf dem Tahrir-Platz Feuerwerkskörper ab, feiern die Nacht durch. Der Wahlsieg des alten Regimes ist abgewendet. Was ein Muslimbruder als Präsident bedeutet, wie sich das Militär ihm gegenüber verhalten wird, das sind Fragen, mit denen sie sich ein anderes Mal beschäftigen werden. Jetzt feiern sie auf dem Tahrir-Platz erst einmal den ersten frei gewählten Präsidenten Ägyptens.