Muslimbrüder sehen Sieg ihres Kandidaten
In Ägypten hat die konservativ-religiöse Muslimbruderschaft ihren Kandidaten Mohammed Mursi zum Sieger der Präsidentenwahl erklärt. Eine offizielle Bestätigung gibt es nicht. Das Militär hat unterdessen weitere Macht an sich gerissen und die Befugnisse des Präsidenten eingeschränkt.
8. April 2017, 21:58
Morgenjournal, 18.6.2012
Karim el-Gawhary im Gespräch mit Christian Williwald.
Erste "Sieges"-Rede
Mursi habe mehr als eine Million Stimmen mehr erhalten als sein Konkurrent, der frühere Ministerpräsident Ahmed Shafik unter dem im Vorjahr gestürzten Langzeit-Präsidenten Hosni Mubarak, teilte die Muslimbruderschaft mit. Mursi kündigte vor jubelnden Anhängern die Schaffung eines Rechtsstaates in Ägypten an. Der Minderheit der koptischen Christen versprach er demnach, dass jeder im Land "Teil der Familie" sein werde. Er wolle für einen "zivilen, demokratischen, verfassungsgemäßen und modernen Staat" arbeiten. Er wolle Präsident für alle Ägypter sein.
Ein Wahlhelfer Shafiks wandte sich gegen die Siegeserklärung der Muslimbrüder. Die Kampagne von Ahmed Shafik sei darüber "erstaunt"; es handle sich bei dem Vorstoß um eine Verletzung der Regelungen der Wahlkommission, sagte Mahmoud Baraka. Er sprach von einer "Geiselnahme des Wahlergebnisses". Die Wahlkommission sei das einzige Gremium, das Wahlergebnisse herausgeben dürfe.
Nach Informationen der Wahlkommission verlief der Urnengang am Sonntag weitgehend ordnungsgemäß und friedlich. Unabhängige Beobachter registrierten hingegen zahlreiche Verstöße gegen die Wahlordnung durch Mursis Wahlhelfer. Die Wahllokale blieben am Abend zwei Stunden länger geöffnet als geplant, um auch den Wählern die Stimmabgabe zu ermöglichen, die während des Tages wegen hoher Temperaturen den Urnen ferngeblieben waren.
Politische Ausnahmesituation
Die Wahl fand allerdings in einer turbulenten politischen Situation statt. Der neue Präsident wird sein Amt antreten, ohne dass es eine Verfassung gibt, die seine Aufgaben und seine Rolle im Staat definiert. Außerdem existiert kein Parlament, denn vergangene Woche annullierte das Verfassungsgericht das Ergebnis der Parlamentswahl und ordnete die Auflösung der Volksvertretung an. In einem während der Stimmenauszählung am Sonntag veröffentlichten Dekret des regierenden Militärrats werden dem neuen Staatsoberhaupt nur eingeschränkte Machtbefugnisse zugestanden. Der Militärrat werde solange die gesetzgeberischen Aufgaben übernehmen, bis ein neues Parlament gewählt sei.
Militärrats beschwichtigt
Etliche Kommentatoren sprachen von einem "schleichenden Putsch". Die Generäle bemühten sich indessen, ihren wichtigsten Verbündeten, die USA, zu beschwichtigen. Wie die staatlichen Medien am Sonntag berichteten, habe der Vorsitzende des Obersten Militärrats, Feldmarschall Mohammed Hussein Tantawi, in einem Telefonat mit US-Verteidigungsminister Leon Panetta versichert, das Militär werde wie geplant Ende Juni die Macht an zivile Volksvertreter übergeben. (Text: APA, Red.)