Ägypten: "Arabischer Frühling" in Gefahr

Die erste demokratische Wahl der ägyptischen Volksvertretung annulliert, Mubarak-Mann Ahmed Shafik als Präsidentschaftskandidat bestätigt - das alte Regime ist zurück, nur ohne den Diktator. Zurück sind damit auch die Demonstranten auf dem Tahrir-Platz in Kairo. Die Entscheidungen der Verfassungsrichter drohen, den "arabischen Frühling" zumindest aufzuhalten.

Mittagsjournal, 15.6.2012

Weicher Putsch

Der Richterspruch ist der Versuch, das Rad zurückzudrehen. Man hat die einzige gewählte Institution des Landes aufgelöst. Es gibt auch Stimmen, die das gut finden. Schließlich saßen 70 Prozent Islamisten im Parlament und jetzt werden die Karten neu gemischt. Und die Islamisten haben gerade in den letzten Monaten sehr viel an Nimbus verloren, weil sie zunehmend als ineffektiv angesehen werden. Andere aber, vielleicht die Mehrheit, sehen aber eine Art "weichen Putsch". Das alte Regime ist jetzt wesentlich besser aufgestellt als vor ein paar Monaten, als das Parlament gewählt wurde. Bei einer neuen Wahl würden sie wesentlich besser abschneiden.

Ein Traum für Diktatoren

Entscheidend dafür, wie es weitergeht, wird die bevorstehende Wahl am Sonntag sein. Da kommt es ja zur Konfrontation zwischen Anhängern und Gegnern des alten Regimes, der letzte Premier Mubaraks, Ahmed Shafik, darf nun offiziell in der Stichwahl ums Präsidentenamt gegen den Islamisten Mohammed Mursi antreten. Sollte Shafik der neue Präsident werden und es kein Parlament geben, das ihn kontrolliert, es keine Verfassung gibt, der er untersteht und neben ihm nur der Oberste Militärrat ist, der jetzt auch die legislative Macht übernommen hat, dann ist das eine Situation, von der jeder Diktator nur träumen kann. Die Hoffnung, die den Moslembrüdern bleibt: Dass die Entwicklung ihre Anhänger so weit mobilisiert, dass sie verstärkt zur Wahl gehen und für ihren Kandidaten Mursi stimmen werden. Sollte es aber dem Militär tatsächlich gelingen, Vertreter des alten Regimes in die gewählten Institutionen hineinzubringen wie das Parlament oder sogar als Präsident, dann ist der Arabische Frühling vorerst aufgehalten.

Shafik polarisiert

Die Menschen erwarten Jobs und wirtschaftlichen Aufschwung und fordern Lösungen, egal ob der nächste Präsident ein Moslembruder ist oder Ahmed Shafik. Das Problem an Shafik ist, dass er mit Hilfe des alten Apparats und der alten Seilschaften viel Unheil anrichten kann. Wenn der nächste Präsident Shaifik heißt, dann ist davon auszugehen, dass es wieder eine sehr polarisierende Lage in Ägypten geben wird.