"Die Münchner sind viel offener als die Wiener"

Nikolaus Bachler im Interview

Nikolaus Bachler gehört zu den prominentesten österreichischen Kulturschaffenden in Deutschland. Nach den Chefposten bei den Wiener Festwochen, der Volksoper Wien und dem Burgtheater steht der 61-jährige gebürtige Steirer seit 2008 als Staatsintendant an der Spitze der Bayerischen Staatsoper.

Die APA sprach mit Bachler aus Anlass der laufenden Münchner Opernfestspiele über sein wahnwitziges Unterfangen, Wagners gesamten "Ring" innerhalb eines halben Jahres zu inszenieren, die Würdelosigkeit im Umgang in Wien, Bundeskanzler Werner Faymann als Sparkassendirektor und den "unseriösen" Konflikt zwischen Alexander Pereira und dem Salzburger Festspielkuratorium.

Sie haben das wahnwitzige Unterfangen erfolgreich bestanden, Wagners "Ring" in der Regie von Andreas Kriegenburg in nur einer Saison herauszubringen. Wieso dieser Zeitdruck?

Wir haben ihn eigentlich sogar in nur einem halben Jahr gemacht, und jetzt verstehe ich, weshalb ihn die meisten Opernhäuser auf drei, vier Jahre aufteilen. Wir sind physisch und psychisch wirklich am Limit. Der Ring ist insgesamt für alle eine Überforderung, aber Kunst ist eine Frage der Überforderung. Ich wollte, dass das Haus über Monate intensiv mit dem "Ring" beschäftigt ist - vom Dachboden bis zum Keller. Und das hat sehr viele Energien freigesetzt. Man ist nach so einem "Ring" nicht mehr derselbe, der man vorher war.

Zusätzlich haben Sie über die Tetralogie hinaus zahlreiche Veranstaltungen angesetzt, darunter die Lesung des eigens geschrieben Texts "Rein Gold" von Elfriede Jelinek...

Für mich gehörte zur Beschäftigung mit dem "Ring" dazu, auch sieben Matineen und sieben Sonderprojekte zu machen - von der Projektion "Weltenbrand" auf der Oper über die Aktion von Spencer Tunick mit 1.700 nackten Menschen bis zur Choreographin Saar Magal, die sich mit der Wagner-Rezeption in Israel beschäftigen wird. Und auch Jelinek habe ich gebeten, einen Text zu schreiben, was sie eigentlich abgelehnt hat. Und dann kam eines Tages ein Textkonvolut von 130 Seiten. Und ich habe mich sehr gefreut. Insofern ist unser Konzept voll aufgegangen. Das ist wie wenn man sagt: "Wir gehen jetzt auf den Nanga Parbat". Dann geht man, bis man oben ist. Das ist gar kein großes Kunststück, sondern eine Frage des Tuns.

Nach einigen Jahren des Vergleichs: Gibt es für Sie einen merkbaren Unterschied zwischen dem Publikum in München und in Wien?

Die Münchner sind viel offener als die Wiener. Sie haben im Musiktheater einfach mehr erlebt, da ist hier immer mehr losgewesen. So war etwa Peter Konwitschny 25 Jahre früher in München als in Wien. Es ist insgesamt ein viel größeres Interesse für den Bühnenvorgang, die Interpretation vorhanden als in Wien. Das ist aber keine Mentalitätsfrage, wenn sie sich anschauen, wie sich das Burgtheaterpublikum seit Klingenberg verändert hat.

Betrifft diese Diskrepanz auch die Frage, wie kulturpolitische Debatten geführt werden?

Die Leute interessieren sich hier längst nicht so für Kulturpolitik wie in Wien - dort interessieren sie sich ja mehr für die Kulturpolitik als fürs Theater selber. In München ist von Vorteil, dass man vonseiten der Politik den Kulturschaffenden mit unheimlichem Respekt begegnet. Das Grauenhafteste in Wien war die Respekt- und Würdelosigkeit im Umgang. Dadurch, dass man sich hier einen soliden Wertkonservatismus erhalten hat, sind zwei Dinge nicht passiert: Es gibt keine extreme Rechte - womit wir uns in Österreich in den vergangenen 20 Jahren so zentral herumschlagen mussten. Und zum zweiten orientiert man sich mehr an der Sache als dem Drumherum.

Gilt diese Zustandsbeschreibung auch für die österreichische Politik?

Herr Spindelegger und Herr Faymann sind von der Persönlichkeitspotenz Sparkassendirektoren aus Tulln. Und dementsprechend ist eben auch die Politik. Dass Österreich kurzzeitig zur außenpolitischen Weltmacht wurde, lag zentral an der Person Kreisky. Jetzt ist das Land auf seine Kleinheit reduziert. Das ist nicht unsympathisch. Aber woher soll das ein Format haben?

Sie sagen das ohne Bedauern?

Das bedauert man natürlich sehr! Ich habe schon die Abnahme des politischen Formats seit Vranitzky bedauert. Jetzt könnte man natürlich sagen, dass man die Vergangenheit glorifiziert, wenn man älter wird. Das stimmt aber nur in Teilen. Ich finde da diese schreckliche Finanzministerin (Maria Fekter, Anm.) gar nicht so schlecht. Die ist aus ihrem Steinbruch rausgekommen und hat wenigstens irgendwelche Ecken und Kanten.

Jetzt kommt mit Josef Köpplinger als Chef des Gärtnerplatztheaters neben Ihnen und Martin Kusej am Residenztheater der dritte Österreicher als Intendant nach München. Spielt diese mögliche Ösi-Trias eine Rolle für Sie?

Nein, null. Ich habe mich auch in meinen ganzen Jahren in Wien nie österreichisch gefühlt. Ich habe eine Nähe zu Kusej weil er der Kusej und ein toller Künstler ist. Ich hätte Kusej viel lieber an der Burg gesehen als Hartmann und finde das auch heute noch. Das Burgtheater hat mittlerweile der Josefstadt den Rang als Boulevardtheater abgelaufen.

Sie selbst haben Ihren Vertrag in München nun verlängert bis 2018. Haben Sie schon all ihre Ziele für München erreicht?

Was uns sicher gelungen ist, ist uns theatralisch an vorderster Front zu positionieren. Was sonst nur kleinere Häuser avantgardistisch bringen können, haben wir an einem großen Haus. Wir gehen einen relativ radikalen Weg - aber mit Sängern wie Jonas Kaufmann oder Rolando Villazon. Und das mit einer Auslastung wie die Wiener Staatsoper. Dabei ist München klein. Wir brauchen also viele Mehrfachgänger, damit wir ein Haus, das so groß ist wie die Staatsoper, füllen.

Sie mussten zu Beginn Ihrer Intendanz vehement gegen Einsparungen auftreten. Wie sieht die Finanzlage mittlerweile aus?

Die finanzielle Situation ist derzeit gut. Wir sind eine Behörde des Freistaats Bayern - das hat auch Vorteile. Aber klar ist: Wir sind zum Erfolg verdammt. Wir verdienen einerseits gut und haben andererseits sehr viele Sponsoren - doppelt oder dreifach so viele wie die anderen deutschen Häuser. Wir sind heute bei vier Millionen Euro Sponsorengeldern pro Saison. Es ist im Augenblick solide, aber Wachsamkeit ist vonnöten.

Apropos: Wie beurteilen Sie den derzeitigen Konflikt zwischen dem neuen Chef der Salzburger Festspiele, Alexander Pereira, und dem Kuratorium über die Hereinnahme von Sponsoren zur Finanzierung des Programms?

Ich finde es überraschend. Herr Pereira hat immer sehr genau gezeigt, wer er ist und wofür er steht. Das wussten die Salzburger. Warum sie da jetzt überrascht sind... In Zürich wird doch ununterbrochen über das Thema Sponsoren geredet. Und ich würde niemals sagen: "Wir müssen am meisten machen." Was ist das für ein Kunstkriterium? Das ist doch kein Qualitätsurteil, wie viele Premieren man hat. Die Frage ist: Wie schauen sie aus?

Können Sie Pereiras vehementen Protest inklusive Rücktrittsdrohung nachvollziehen?

Da sind wir wieder bei den österreichischen Blasen. Das lieben und machen sie dort, auch wenn niemand an Rücktritt denkt. Ich finde das unseriös und unprofessionell. Wenn ich mein Rücktrittsgesuch einreiche, muss ich das meinen. Jeder wusste, Pereira wollte nirgend anders hin als nach Salzburg. Warum sollte er da zurücktreten? Ich finde das Ganze ein bisschen unseriös von außen betrachtet.

Das Gespräch führte Martin Fichter-Wöß/APA