Sommerfestspiele Reichenau: Schnitzlers Reigen

Schnitzlers "Reigen" war 1920 der größte Theaterskandal des Jahrhunderts. Bei den Aufführungen kam es zu Ausschreitungen und Massentumulten, von Schweinerei, Schandstück und geilster Pornografie war die Rede, und schließlich verhängte Schnitzler selbst ein Aufführungsverbot über sein Stück. Dieses Verbot war bis 1982 in Kraft. Fast 100 Jahre später ist das Stück Sommertheater-tauglich geworden und wird ab heute Abend in hochkarätiger Besetzung bei den Festspielen Reichenau gezeigt.

Mittagsjournal, 5.7.2012

"Es ist ja ihr bestes Stück, Sie Schmutzfink", hat Hugo von Hofmannsthal an Arthur Schnitzler über den "Reigen" geschrieben. Schnitzler selbst war anderer Meinung und notierte dazu: "Geschrieben hab ich eine Szenenreihe, die vollkommen undruckbar ist, literarisch auch nicht viel heißt, aber nach ein paar hundert Jahren ausgegraben, einen Teil unserer Kultur eigentümlich beleuchten wird." So ist der "Reigen" zwar nicht aus seinem historischen und gesellschaftlichen Kontext herauszulösen, bleibt aber dennoch zeitlos, meint Miguel Herz-Kestranek, der den Grafen spielt, denn "die Sexualität und der Trieb ist bei aller sexueller Revolution gleich geblieben und die Tricks und Finten, wie man sich das außerhalb der Ehe nimmt, sind auch gleich geblieben."

Im überdimensionierten Bett in der Mitte des neuen Spielraumes werden zehn Typenpaare - vor und nach dem Beischlaf - gezeigt: Da gibt es die Dirne und den Soldaten, das Dienstmädchen und den jungen Herrn, die Ehefrau und den Künstler. Neben Petra Morzé, Chris Pichler, Jürgen Maurer oder Günter Franzmeier ist Katharina Strasser in ihrer Paraderolle als süßes Wiener Mädel zu sehen. "Ich finde es schön, dass man die verschiedenen Aufreißmethoden und Vorspiele sieht; auch dass der Akt an sich nie gezeigt wird, finde ich sehr spannend", sagt sie.

Züchtig bedeckte Hintern

Katharina Strasser spielt im kommenden Jahr im Rabenhof in Werner Schwabs Stück "Der reizende Reigen des reizenden Herrn Arthur Schnitzler", eine etwas derbere Version unter den zahlreichen "Reigen"-Adaptionen. In Reichenau setzt man auf Texttreue, historische Kostüme und den Schnitzler'schen Ton, den Miguel Herz Kestranek besonders gut beherrscht, denn: "Das Feulleton kriecht in den großdeutschen Hintern", meint er.

Der bleibt in Reichenau züchtig bedeckt, man verzichtet auf Explizites und die einzigen Nackten, die sich im neuen Spielraum tummeln dürfen, sind Henri Matisses berühmte "Reigen-Tänzer", die an die Wände projiziert werden.

Für Regisseur Helmut Wiesner liegt das Geheimnis des Stückes in der Sprache: "Jeder spricht was anderes, als er denkt." Darin sieht er den Urkern dessen, was Schnitzler aussagen will.

Schnitzlers "Reigen" hat heute Abend bei den Festspielen Reichenau Premiere, morgen Abend folgt die Stefan-Zweig-Dramatisierung "Ungeduld" im alten Theatersaal.