Misslungene Projekte der Menschheitsgeschichte
Grandios gescheitert
Das Feuer, die Elektrizität, die Demokratie - der Mensch kann auf eine lange Reihe verblüffender Errungenschaften zurückblicken. Doch der Erfolgsliste steht eine mindestens ebenso lange Aufstellung von Misserfolgen gegenüber über die man weniger oft hört oder liest. Zu Recht? Nein, meint der deutsche Historiker und Publizist Bernd Ingmar Gutberlet.
8. April 2017, 21:58
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Zu den Errungenschaften der modernen Wissenschaften war es ein langer Weg, beginnend mit dem ersten Menschen, der "Warum?" fragte und nach Antworten suchte.
Bis heute hat keiner eine Antwort gefunden, wie man Gold herstellt. Seit zum ersten Mal ein Mensch vor Tausenden Jahren auf das gelblich schimmernde Edelmetall stieß, war es heiß begehrt. Es wurde hymnisch besungen, gottgleich verehrt und manisch gesucht, gestohlen und gebunkert. Da es aufgrund seiner faszinierenden Farbe, seiner stofflichen Eigenschaften und seiner begrenzten Häufigkeit immer schon als kostbar galt, dauerte es nicht lange, bis die ersten Fälschungen auftauchten.
Alchimisten streckten Gold mit anderen Metallen oder lieferten die Kupfer-Zink-Legierung Messing als billigen Goldersatz. Ein Projekt ließ sie jedoch Jahrhunderte lang nicht zur Ruhe kommen: Wenn es durchführbar war, aus verschiedenen Stoffen einen völlig neuen herzustellen, müsste es doch auch möglich sein, künstliches Gold zu produzieren.
Die Tugenden der Alchimisten
Für eine erfolgreiche Transmutation waren nicht nur überliefertes Geheimwissen und die entsprechenden Zutaten und Gerätschaften notwendig, der ausführende Alchimist musste je nach Kulturkreis auch unterschiedliche Tugenden in sich vereinen. In China etwa war es Vorschrift, vor der Prozedur hundert Tage lang zu fasten und auf einen "berühmten hohen Berg" zu gehen. In Europa war vor allem die Keuschheit eine beliebte Forderung an den zur besonderen Tat entschlossenen Alchimisten.
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Ohne göttliche Erleuchtung sei der Stein der Weisen nicht zu finden. So wie der Mensch erlöst werden müsse, um zu Höherem aufzusteigen, durchlaufe auch das einfache Metall eine Art Erlösung zum Höheren in der Transformation zum Edelmetall.
Doch weder Glaube noch Geheimniskrämerei haben geholfen, Gold künstlich herzustellen. Des Scheiterns Lohn waren Spott und Hohn. Viele Alchimisten traf es noch schlimmer: Wer in China beim Goldfälschen auf frischer Tat ertappt wurde, dem drohte die öffentliche Hinrichtung.
Bei den verzweifelten Versuchen, Gold zu erzeugen, wurden wenigstens brauchbare Nebenprodukte entwickelt. So gelang dem Apothekergehilfen Johann Friedrich Böttger 1709 immerhin die Herstellung des "weißen Goldes" Porzellan. Der einzige tatsächlich erfolgreiche Versuch sei hier nicht verschwiegen: 1980 schafften kalifornische Wissenschaftler mittels Teilchenbeschleuniger die Umwandlung von Bismut in Gold. Die Rechnung ging aber nicht auf: Der Versuch kostete 10.000 Dollar, das klägliche Ergebnis entsprach einem Gegenwert von einem Milliardstel Cent.
Quer durch die Jahrhunderte
Das Scheitern hat viele Gesichter. Zu dieser Ansicht gelangt man, wenn man sich die zwölf ausgewählten Projekte näher ansieht. Die Betreiber der historischen Abenteuer waren getrieben von purer Gier, von edlem Idealismus oder ausschweifenden Allmachtsfantasien. Die Zeitreise führt uns sprunghaft durch die Jahrhunderte, von Südamerika nach Sibirien, von der stalinistischen Sowjetunion ins nationalsozialistische Deutschland oder vom mittelalterlichen Frankreich ins Herzen Afrikas.
Bei einigen Vorhaben ist man heilfroh, dass sie nie gelungen sind, wie etwa Ilja Iwanowisch Iwanows angestrebte Kreuzung von Mensch und Affe. Bei anderen darf man ihr Scheitern gerne bedauern, wie etwa bei der unvollendeten Riesen-Kathedrale von Beauvais.
Gigantisches "Atlantropa"
Und dann gibt es die Kategorie, bei der man sich einfach nur auf den Kopf greift. Dazu gehört sicher Herman Sörgels gigantomanisches Projekt "Atlantropa", eine in den späten 1920er Jahren konzipierte Vereinigung der Erdteile Europa und Afrika.
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Sörgel wollte aus dem Mittelmeer ein Wasserkraftwerk machen, allerdings ein gigantisches, dessen Errichtung für das Meer selbst, aber auch seine zwei benachbarten Kontinente immense Auswirkungen haben würde.
Zum Bau des Staudammes zwischen Gibraltar und Marokko hätte ein großes Stück der spanischen Costa de la Luz inklusive der Stadt Tarifa geopfert werden sollen. Auf dem Damm plante der visionäre deutsche Architekt ein 400 Meter hohes Haus. Das weitgehend trockengelegte Mittelmeer sollte Europa und Afrika zum neuen Kontinent "Atlantropa" vereinigen. So war schließlich eine durchgehende Eisenbahnverbindung von Berlin bis Kapstadt ebenso angedacht, wie ein künstlicher Stausee rund um Venedig, damit die beliebte Lagunenstadt eine solche bliebe. Geadelt wurde das Projekt ausgerechnet von den Technokraten der jungen Sowjetunion.
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Dort befand man 1932, ein Unternehmen solchen Maßstabs könne im Westen gar nicht umgesetzt werden, weil es für das dem Untergang geweihte kapitalistische System ein paar Nummern zu groß sei. Wäre aber dereinst der siegreiche Sozialismus auch im Westen angekommen, würde er dieses Vorhaben in die Tat umsetzen.
Dass der sozialistische Mensch die Natur zu "korrigieren" habe, wie Leo Trotzki es formulierte, lässt sich an zahlreichen sowjetischen Großprojekten vor allem in Sibirien nachvollziehen. Ein Kapitel des Buches ist dem Lieblingsunternehmen Leonid Breschnews gewidmet: der Umkehrung der sibirischen Flüsse. Dem überversorgten Norden sollte Wasser entzogen werden, um es in den darbenden Süden zu leiten. Planmäßig war äußerste Brutalität angedacht: mittels Atom-Explosionen wollte man die Erdoberfläche radikal "umgestalten", der gigantische Kanal "Sibaral" sollte ein Wasserreservoir nördlich des Aralsees speisen, durch Staudämme hätten Flüsse tatsächlich ihre Richtung geändert. "Das war nichts weniger als eine Revolution gegen die Natur", schreibt Gutberlet.
Menschliches Versagen
So vergnüglich sich Gutberlets fundierte Zusammenstellung auch liest, die zwölf Meisterwerke des Scheiterns lassen den Leser auch ein wenig frösteln. Sie sind brisante Einblicke in den menschlichen Wahnsinn, gefüttert von blinder Großmannssucht, blanker Gier oder brillantem Genie.
Und noch etwas zeigt das Buch der Misserfolge. Das Scheitern kann verschiedene Ursachen haben. Besonders enttäuschend sind die durch menschliches Versagen verursachten Niederlagen. Traurigstes Beispiel: die "Wasserkunst von Toledo", eine technische Meisterleistung mit Schaufelrädern und Hebewerken zu Beginn der Neuzeit. Durch diesen Genieblitz schöpfte die spanische Stadt jahrelang Wasser vom 90 Meter tiefer gelegenen Fluss Tajo. Das Werk funktionierte einwandfrei, bis Sabotageakte arbeitslos gewordener Wasserträger und Schlamperei der Stadtverwaltung ihr ein klägliches Ende bereiteten.
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Bernd Ingmar Gutberlet, "Grandios gescheitert. Misslungene Projekte der Menschheitsgeschichte", Lübbe Verlag
Lübbe - Grandios gescheitert