Flüchtlingslager: Endlose Tage in Yayladagi

Viele syrische Flüchtlinge auf der türkischen Seite setzen darauf, dass die Freie Syrische Armee Assad und seine Truppen bald besiegen wird. Das gibt ihnen Hoffnung. Dass die Aufständischen nach Aleppo und Damaskus vorgerückt sind, betrachten viele Flüchtlinge als Zeichen, dass sich Assad nicht mehr lange halten wird.

Morgenjournal, 23.7.2012

Christian Schüller berichtet aus dem syrisch-türkischen Grenzgebiet.

"Bereiten uns auf Rückkehr vor"

Endlos scheinen die Tage in einem Flüchtlingslager im Süden der Türkei, besonders im Fastenmonat, wenn man von Sonnenaufgang bis zum Abend nicht einmal einen Tropfen Wasser trinken soll. Kinder sind wie Kranke davon ausgenommen und Yasser Yani, der Lehrer der improvisierten Flüchtlingsschule, geht mit seinen Schützlingen so oft wie möglich hinaus.

Die Größeren spielen Fußball, die Kleineren sollen heute ihr Zuhause zeichnen, damit sie es nicht vergessen. Doch lange werde es nicht mehr dauern, meint der Physiklehrer aus Ildib. Vor einem Monat habe er noch mit einem weiteren Jahr gerechnet. Die jüngste Offensive der Anti-Assad-Rebellen auf Aleppo stimme ihn aber optimistisch: "Wir bereiten uns eigentlich schon auf unsere Rückkehr vor, denn das Assad-Regime ist zu Ende, das wissen wir."

"Land wieder auf die Beine stellen"

Ganz so schnell wird das mit der Rückkehr nicht gehen, das weiß auch Yasser. Vom Flüchtlingslager aus sieht man gegenüber, gleich hinter der Grenze, eine dichte schwarze Rauchwolke aufsteigen. Der Grenzübergang Yayladag ist immer noch in der Hand der Assad-Truppen, und wahrscheinlich werden die Feuer gelegt, um alles abzubrennen, was den Angreifern Deckung geben könnte.

Assads Truppen wurden überrumpelt, aber nicht geschlagen. Doch Yasser denkt schon weiter. Was soll man auch den ganzen langen Tag tun als sich die Zukunft auszumalen: "Es wird nach unserer Rückkehr am Anfang sicher schwierig sein, das Land wieder aufzubauen", sagt Yasser. "Das wird vielleicht das Schwierigste überhaupt. Aber wir sind voller Hoffnung und wollen alles tun um unser Land wieder auf die Beine zu stellen. Und alles was wir brauchen, ist dass wir endlich zurück gehen können."

Das neue Syrien im Kleinen

Frauen aus dem Lager wollen sich auch mitteilen, stecken ihren Kopf durch die Lücken im Lagerzaun. Sie sind unzufrieden, weil Männer im Lager Lebensmittel und Kleider, die für die Familien gedacht sind, abzweigen um sie den Kämpfern drüben zu schicken. Außerdem würden manche Spenden im Lager drinnen teuer verkauft.

Doch der Protest dauert nicht lange. Ein Aufpasser verscheucht die Frauen ins Innere des Lagers. Was sich hier bei den Flüchtlingen abzeichnet, wird sich wohl im neuen Syrien fortsetzen. Eine neue Schicht kleiner und großer Machthaber ist entstanden, die sich auf ihre Verdienste für die Revolution berufen.

"Syrer neigen nicht dazu, sich gegenseitig zu hassen"

Wird es denn jemals möglich sein, die Gräben zwischen den einzelnen Volksgruppen wieder zu schließen, werden Sunniten und Alewiten, Kurden und Araber jemals wieder friedlich zusammen leben? Der Physiklehrer Yasser zeigt sich optimistisch: "Klar wird es am Anfang einige Racheakte geben, solange die Emotionen so aufgeheizt sind. Aber was die große Mehrheit unserer Bevölkerung betrifft, so neigen wir Syrer überhaupt nicht dazu, uns aus religiösen oder ethnischen Gründen gegenseitig zu hassen. Wenn also nach einiger Weile wieder Vernunft einkehrt, dann werden wir uns nicht in Sekten trennen lassen. Das war Assads Regime, das versucht hat, uns gegeneinander auszuspielen."

Yasser gehört nicht zu denen, die im Lager etwas zu bestimmen haben. Er strebt kein politisches Amt an, will nur wieder Physik unterrichten können. In jenem vernünftigen, toleranten Land, das er als das wirkliche Syrien versteht.

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