Bürgerrechtler: Putin trickst Verfassung aus
Die jüngsten umstrittenen Gesetze, die das russische Parlament noch rasch vor dem Sommer beschlossen hat, dürften die Wut und Unzufriedenheit vieler Russen mit ihrem Regime noch verstärken. Kritiker wie der Bürgerrechtler Lew Ponomarjow sprechen von einem Angriff auf Russlands Zivilgesellschaft, der im schlimmsten Fall zu einer Revolution führen könnte.
8. April 2017, 21:58
Mittagsjournal, 240.7.2012
Carola Schneider berichtet aus Moskau
"Putsch gegen die Bürgergesellschaft"
Die Einschränkung der Versammlungsfreiheit, eine "Schwarze Liste" für nicht genehme Internetseiten, Gefängnisstrafen für Beleidigung und Verleumdung und die Brandmarkung von NGOs als ausländische Agenten - für den liberalen Oppositionellen und Bürgerrechtler Lew Ponomarjow haben die jüngsten Gesetze, die von der Kremlpartei "Einiges Russland" initiiert wurden, nur ein Ziel - die protestierende Zivilgesellschaft mundtot zu machen: "De facto ereignet sich gerade ein anti-konstitutioneller Putsch des Regimes gegen die Bürgergesellschaft. Denn sämtliche neue Gesetze sind gegen weite Bereiche der Zivilgesellschaft gerichtet."
Beispiele in der Geschichte
Betroffen seien Journalisten, Bürgerrechtler, Oppositionelle und einfache Menschen, die auf die Straße gingen, um zu protestieren. Sie alle sollten durch die drohenden drastischen Strafen eingeschüchtert und mundtot gemacht werden. Das werde Putin, der die neuen Gesetze gutgeheißen habe, nicht gelingen, prognostiziert Lew Ponomarjow, ganz im Gegenteil. Er befürchtet, dass in Russland eine neue Revolution vor der Tür steht: "Die russische Geschichte bietet genügend Beispiele dafür: wenn ein Regime nur noch dumm und unverschämt handelt, um seine Macht zu sichern, führt das zur Revolution. Das war zuletzt 1917 so. Das wollen wir aber nicht, wir wollen, dass die Staatsmacht mit der Zivil-Gesellschaft einen Dialog aufnimmt."
Europa zu unschlüssig
Das könne noch immer gelingen, ist Bürgerrechtler Lew Ponomarjow überzeugt. Doch dafür sei eine noch breiter abgestützte Protestbewegung gegen Putin nötig und, so betont Ponomarjow, ein entschlossenes Handeln des Westens. Dieser könne wohl kaum zulassen, dass es in der Atom-Supermacht Russland zu blutigen Revolten komme: "Warum gibt es keine internationale Konferenz in Europa, auf der die Staatschefs die groben Menschenrechtsverletzungen in Russland und mögliche Sanktionen diskutieren? Immerhin hat Russland die Europäische Menschenrechtskonvention unterschrieben. Putin soll sehen, dass Europa genau beobachtet, was hier vor sich geht." Europa sei bisher zu unschlüssig, man sei zu sehr am russischen Öl und Gas interessiert. Die westlichen Politiker hätten Angst vor Putin. Lachhaft sei das, denn nicht einmal mehr die Russen selbst würden sich vor Putin fürchten, dessen Beliebtheit stetig sinke.
Eher ins Gefängnis
Auch für Lew Ponomarjow und seine Bürgerrechtsorganisation "Für Menschenrechte" wird ab jetzt das Arbeiten schwieriger. Sie erhält Geld aus dem Ausland und muss sich jetzt "ausländischer Agent" registrieren lassen. Diese Erniedrigung werde er seiner Organisation nicht antun, kündigt Ponomarjow an und ist bereit, schlimmstenfalls ins Gefängnis zu gehen. Sollte seine Bürgerrechtsorganisation geschlossen werden, meint Ponomarjow, werde dies hoffentlich für Aufsehen sorgen, in Russland und im Westen.