Warum nur Niederlagen zum Erfolg führen
Trial and Error
Thomas Edisons Erfindung der Glühbirne war keine glatte Sache. Eines der am häufigsten angeführten Zitate des Erfinders lautete denn auch: "Ich bin nicht gescheitert. Ich habe bloß 10.000 Möglichkeiten gefunden, die nicht funktionieren."
8. April 2017, 21:58
Thomas Edison ist in den Augen von Tim Harford ein Paradebeispiel dafür, wie wichtig die Methode von Versuch und Irrtum ist. "Edison hat eigentlich einen Prozess für industrielles Experimentieren erfunden", sagt Tim Harford. "Die Leute, die für ihn arbeiteten, sollten die Möglichkeit haben, viele verschiedene Dinge auszuprobieren. Wenn einige nicht funktionierten, störte ihn das nicht. Er hat Großlabors so angelegt, dass man die Zahl der Experimente maximieren konnte. Ihm war bewusst: Es kommt nicht drauf an, wie oft man versagt, sondern wie oft man erfolgreich ist. Und all die Fehlschläge waren bedeutungslos, wenn man am Ende Erfolg hatte."
Erfindergeist
In seinem Buch "Trial and Error. Warum nur die Niederlagen zum Erfolg führen" lobt der in London stationierte Wirtschaftsjournalist der "Financial Times" Flexibilität und Erfindergeist. Und das in sehr vielen verschiedenen Bereichen. Genaugenommen entstand so auch sein Buch, erzählt der Autor:
"Anfangs wollte ich ein Buch darüber schreiben, wie die Ökonomie und die Ökonomen die größten Probleme der Welt lösen könnten: also den Klimawandel, die Finanzkrise, Kriege, Terrorismus und so weiter. Dann wurden mir aber zwei Dinge bewusst: Der Ansatz war vielleicht nicht so interessant, wie ich es mir vorgestellt hatte. Ich bin zwar Ökonom, aber vielleicht ist die Ökonomie doch nicht die richtige Methode, alle diese Probleme zu lösen. Und dann fiel mir noch eine Gemeinsamkeit auf. Egal, ob ich mit Offizieren sprach, die im Irak gedient hatten, oder mit Umweltingenieuren, oder mit Finanzexperten, alle kamen immer wieder auf den gleichen Prozess zu sprechen: dass man eben Fehler macht und sie korrigiert, statt zu versuchen, alles schon beim ersten Mal perfekt hinzukriegen."
Wenn von Versuch und Irrtum die Rede ist, denkt man fast immer an Wirtschaft oder an Wissenschaft. Doch eigentlich, so schreibt Tim Harford, handelt es sich dabei um eine lang erprobte biologische Methode.
Zitat
Biologen nennen den Prozess, bei dem aus Fehlschlägen Lösungen entstehen, schlicht Evolution. Die Kehrseite dieses gerne mit dem Schlagwort vom "Überleben des Bestangepassten" zusammengefassten Entwicklungsprozesses ist das Scheitern der weniger Angepassten. Da wir instinktiv davon ausgehen, dass komplexe Probleme maßgeschneiderte Expertenlösungen erfordern, mag es uns irritieren, dass dieser Prozess völlig ungeplant abläuft. Durch einfache Abwandlungen bestehender Vorlagen ergibt sich letztlich eine schier unerschöpfliche Vielfalt: Man entwickelt ein paar Varianten von dem, was man bereits vor sich hat, verwirft dann die ungeeigneten und kopiert die Erfolgsmodelle, und zwar bis in alle Ewigkeit. Abwandeln und Auslesen, wieder und wieder, nichts anderes sind Variation und Selektion. Wir sind daran gewöhnt, Evolution als etwas zu betrachten, das sich nur in der Natur abspielt - als biologisches Phänomen eben. Aber dem ist nicht so, jedenfalls nicht zwingend.
Probieren geht über Studieren
Im Zweifelsfall solle man also experimentieren, meint Tim Harford. Und Möglichkeiten gibt es selbst in anscheinend ausweglosen Situation. Als Beispiel führt er die Entwicklung des berühmten Abfangjägers Spitfire in Großbritannien an. Die Pläne für dieses neue Flugzeug gefielen damals niemandem. Sogar Winston Churchill kritisierte sie in einer Rede im Parlament. Er meinte, das Jagdflugzeug sei ein verfehltes Konzept.
"Die britische Luftwaffe gab den Prototypen dennoch in Auftrag", so Harford. "Das ist dem Kommodore Henry Cave-Brown-Cave zu verdanken. Er sagte: Warum nicht. Seine genauen Worte waren: 'Das wird ein hochinteressantes Experiment werden.' Der Kommodore stellte für den Prototypen ein Budget von 10.000 Pfund zur Verfügung. So viel kostete damals ein Haus in London. Es war also nicht sehr viel Geld. Es war eine spekulative Investition. Vermutlich würde die Maschine nicht funktionieren. Aber sie funktionierte sehr wohl und änderte den Verlauf des Zweiten Weltkriegs."
"Es gibt sehr viele Technologien - und nicht nur militärische -, wo man verhältnismäßig wenig Geld investieren kann", sagt Harford weiter. "Vermutlich wird es Fehlschläge geben. Aber hin und wieder wird man auf diese Weise großen Erfolg haben. Das ist freilich ein Investitionsmodus, der uns nicht behagt. Wir wünschen uns kleine, berechenbare Erfolge. So funktioniert die Sache aber nicht."
Aus Fehlern lernen
Tim Harford erzählt in seinem Buch von der weltberühmten Choreografin Twyla Tharp. Gemeinsam mit Billy Joel produzierte sie eine Mischung aus Ballett und Musical. Die Premiere von "Moving Out" fand im Herbst 2002 auf dem New Yorker Broadway statt. Die Produktion war ein Flop. Twyla Tharp strickte die Show innerhalb von drei Monaten komplett um. Und das mit großem Erfolg. Positiv daran, so Tim Harford: Die Choreografin ist sehr schnell zu ihren Fehlern gestanden und hat daraus ihre Lehren gezogen. Doch idealerweise sollten Fehlschläge lieber abseits der Öffentlichkeit stattfinden. Dazu brauche man Freiraum zum Experimentieren.
So weit also die intellektuelle Analyse. Wie schwierig es sein kann, diese Einsichten umzusetzen, weiß Tim Harford aus eigener, jüngster Erfahrung. Vor einem Jahr plante er nämlich, mit seiner Familie von London nach Oxford zu übersiedeln.
"Wir konnten uns nicht darüber klar werden, ob die Vorteile die Nachteile überwogen. Wir dachten ständig im Kreis. Diese wichtige Entscheidungsfindung wurde sehr stressig", erinnert sich Harford. "Bis ich schließlich sagte: Ich vergesse die Lehren aus meinem eigenen Buch. Statt zu überlegen, welche Entscheidung eher zum Erfolg führt, denken wir doch einmal über die Folgen eines möglichen Misserfolgs nach. Und dann wurde uns klar: Wenn wir in Oxford ein Haus mieteten und unser Haus in London vermieteten und nicht verkauften, konnten wir versuchsweise nach Oxford ziehen. So könnten wir die Stadt ausprobieren, sehen, ob wir Freunde finden würden, ob wir Oxford mochten. Und wenn nicht: Dann hätten wir eine wichtige Erfahrung gemacht, konnten die Entscheidung leicht rückgängig machen und nach London zurückgehen."
Erst nachdenken, dann handeln
Freilich gibt es auch Einrichtungen und Institutionen, wo Versuch und Irrtum keine Option sind, wo es kaum Spielraum für Fehler gibt. Ein solches Beispiel ist für Tim Harford das Bankenwesen:
"Ich beschreibe in meinem Buch, dass man das Bankenwesen so betrachten soll wie gefährliche industrielle Einrichtungen. Wie Ölplattformen zum Beispiel oder wie Kernkraftwerke. Diese sind in ihren Strukturen sehr komplex; vieles greift in diesen Systemen ineinander. Das bedeutet: Wenn etwas passiert, dann kann es unerwartete Konsequenzen geben. Und wenn es unerwartete Konsequenzen gibt, ist es schwierig, auf diese schnell genug zu reagieren. Ingenieure, Psychologen und Experten für Verhalten in Organisationen denken laufend sehr intensiv darüber nach, wie man solche Einrichtungen sicherer machen kann. Hundertprozentig sicher werden sie freilich nie sein. Ich glaube, wir im Finanzsektor - also Ökonomen, Anwälte, Steuerberater - haben von der Praxis in komplexen industriellen Anlagen bisher wenig gelernt. Wir sollten darüber mehr nachdenken."
Service
Tim Harford, "Trial and Error. Warum nur die Niederlagen zum Erfolg führen", aus dem Englischen übersetzt von Anne Uhlmann, Rowohlt Verlag
Rowohlt - Trial and Error