Belgien schließt Atomkraftwerke
In Belgien herrscht nach der Abschaltung von zwei Atomreaktoren Aufregung. In einem von ihnen wurden Risse am Reaktorbehälter entdeckt. Der zweite desselben Bautyps wird noch untersucht. Weltweit soll es 22 solcher Reaktoren geben, davon elf in Europa. Belgien hat alle betroffenen Länder auf mögliche ähnliche Schäden hingewiesen.
8. April 2017, 21:58
Morgenjournal, 20.8.2012
ORF-Korrespondent Ernst Kernmayer berichtet aus Brüssel.
Keine Gefahr austretender Radioaktivität
Es war eine der wenig beachteten internationalen Tagungen Ende letzter Woche in Brüssel. Dabei hätte sich die Zusammenkunft internationaler Experten der Atomaufsichtsbehörden durchaus mehr Aufmerksamkeit verdient. Belgien hat Behördenvertreter aller Länder zusammengerufen, die Reaktoren vom selben Bautyp haben wie Doel 3 bei Antwerpen, der seit Juli abgeschaltet ist. Mehrere tausend kleine Haarrisse von bis zu zwei Zentimeter Länge an der Oberfläche des Reaktorbehälters sollen da entdeckt worden sein.
Der Chef der belgischen Atomaufsichtsbehörde, Willy de Roovere, bezweifelt sogar, ob der Reaktor jemals wieder in Betrieb gehen kann: "Es gibt eine Menge kleiner Risse an der Unterseite des Reaktorbehälters. Man muss genau untersuchen, wie sich diese Risse weiterentwickeln."
Klingt dramatisch, soll aber nicht weiter gefährlich sein. Es sei unwahrscheinlich, dass sich die Risse so ausweiten, dass Radioaktivität austreten könne, sagt de Roovere. Abgeschaltet wird trotzdem, "aus einem schlechten Gefühl heraus, wegen der Länge der Risse."
Neun weitere Reaktoren gleichen Typs in Europa
Inzwischen wurde ein zweiter Reaktor eines Kraftwerks bei Lüttich abgeschaltet. Da soll untersucht werden, ob ähnliche Schäden aufgetreten sind. Schließlich ist Belgien auch erst von Frankreich auf die möglichen Schäden hingewiesen worden.
Die Reaktoren wurden in den achtziger Jahren von einer niederländischen Firma geliefert, die in der Zwischenzeit pleite ist. In Europa stehen neun weitere Reaktoren des gleichen Bautyps, unter anderem in der Schweiz und in Deutschland. Die deutsche Regierung verweist allerdings darauf, dass diese Reaktoren unter jenen sind, die nach der Katastrophe von Fukushima im Vorjahr vom Netz genommen wurden.
Oktober: Bericht über europäische AKW
Bei den laufenden Atomkraftwerkstresstests der EU sind derlei Schäden nicht aufgefallen. Das sei auch nicht ihre Aufgabe gewesen, sagt ein Sprecher der EU-Kommission: "Die Stresstests sollen zeigen, wie es bei ähnlichen Katastrophen wie in Fukushima um die Sicherheit der Kraftwerke bestellt ist. Was passiert bei Überschwemmungen, was bei Stromausfall oder bei einem Terrorangriff? Die Vorfälle im belgischen Kraftwerk zeigen aber auch, dass das System funktioniert. Es wurden sofort alle Betroffenen informiert. Aber solche Fehler zu finden, ist nicht Sache der Stresstests."
Das wäre allerdings zu billig, meint EU-Energiekommissar Günther Oettinger. Er hat in der Zwischenzeit veranlasst, dass die Erfahrungen aus Belgien in die Stresstests eingearbeitet werden. Im Oktober sollen die Berichte über den Zustand der europäischen Atomkraftwerke fertig sein.