Satire von Martin Horváth

Mohr im Hemd

Jahr für Jahr flüchten Menschen in der Hoffnung auf Asyl in den "goldenen Westen" – in Österreich waren es im letzten Jahr über 14.000. Die Motive für ihre Flucht sind vielfältig und reichen von Armut, Hungersnot oder Krieg hin zu den eigentlichen Asylgründen, wie etwa politischer Verfolgung.

Sieht man sich den Umgang mit Flüchtlingen und Asylwerbern jedoch hierzulande an, könnte man den Eindruck gewinnen, Flucht sei ein Verbrechen: Schubhaft, auch bei Minderjährigen, teils bestürzende Zustände in den Asylheimen, sowie mehrjährige Asylverfahren werden seit langem stark kritisiert.

Der Wiener Musiker Martin Horváth hat sich nun in seinem beeindruckenden Romandebüt "Mohr im Hemd oder Wie ich auszog die Welt zu retten" der Realität jugendlicher Asylwerber angenommen. Der Umgang mit Flüchtlingen brannte dem Autor schon seit dem Zerfall Jugoslawiens und der damit einhergehenden Flüchtlingswelle unter den Nägeln und er scheute auch nicht vor aufwendigen Recherchen für sein Buch zurück, wie er im Interview erzählt:

"Asylpolitik, Zuwanderung, Integration ist ein Thema, das mich schon lange beschäftigt, das mich oft auch zur Verzweiflung treibt, mich zornig macht und diesen Zorn wollte ich dann sozusagen in Worte gießen. Dann habe ich mich damit beschäftigt, wie sieht der Alltag für Flüchtlinge, für Asylwerber in Österreich aus und einige Interviews gemacht mit Flüchtlingsbetreuern vor allem im Wiener Integrationshaus und hab dann dort auch eine Ausbildung gemacht, um Grundzüge der Flüchtlingsarbeit mitzubekommen. Fokus ist dabei sehr bald auf den sogenannten 'unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen' gelegen, also denjenigen, die ohne Begleitung von Eltern oder anderen Erwachsenen auf die Flucht gehen und nach Österreich kommen."

Geschichten von Asylwerbern

Einer dieser "unbegleiteten Minderjährigen" ist der 15-jährige Afrikaner Ali, der als allwissender Erzähler des Romans so gut wie nichts von seiner eigenen Geschichte, aber dafür umso mehr von seinen Mitbewohnern in einem Wiener Asylwerberheim berichtet. Es sind erschütternde Schicksale aus der ganzen Welt, die die Wirklichkeit in den einzelnen Flüchtlingsländern - vom Zwang zur Prostitution bis zur Rekrutierung von Kindersoldaten - spiegeln.

Die schwer traumatisierten Betroffenen leben in Österreich oftmals weiter in Angst, und zwar vor Fremdenpolizei, Schubhaft und Abschiebung, was so manchen in die Illegalität treibt. Das Innenministerium erhält vom Erzähler Ali nur das zynische Synonym "Bundesabschiebeamt". Was die Bewohner des Heims aus aller Herren Länder miteinander verbindet, ist das Warten auf den Asylbescheid.

"Das größte Problem ist das, dass Asylverfahren nach wie vor sehr lange dauern", sagt Horváth. "Es gibt immer noch Asylwerber, die seit Jahren auf einen Bescheid warten. Das heißt jahrelang wissen sie nicht, dürfen sie in Österreich bleiben oder müssen sie letztendlich wieder in ihr eigenes Land zurück, und dieses Warten ist einfach unglaublich zermürbend. Ganz besonders schlimm ist auch, dass die Leute nicht arbeiten dürfen, denn die meisten wollen sich hier dann ein neues Leben aufbauen, wollen arbeiten und wollen in vielen Fällen auch gern ihre Familien in der Heimat unterstützen, können's aber nicht, weil sie nicht arbeiten dürfen."

Dichtung und Wahrheit

Ali vertreibt sich die lange Zeit, aber auch sein eigenes geheim gehaltenes Trauma mit seinen blühenden Erzählungen, die zuweilen aufmüpfig und politisch inkorrekt sind und bei denen die Grenze von Wahrheit und Lüge fließend ist. Der ernste Stoff wird vom Autor mit beißendem Humor und subversiver Feder bearbeitet; es offenbaren sich dabei Züge des Schelmenromans.

"Ein Thema, das mir bei dem Roman sehr wichtig ist, ist das Thema der Lüge", meint Horváth. "Das bekommt man ja bei Ali sehr bald mit, dass man ihm nicht alles glauben darf. Das ist natürlich einerseits ein Spiel mit den Erzähltraditionen, mit dem allwissenden auktorialen Erzähler. Ganz wichtig ist aber auch der Aspekt, wenn es um Asylwerber geht, dann ist ja schnell der Vorwurf parat: 'Die Lügen ja alle! In Wahrheit flüchten sie nicht vor politischer Bedrohung oder Ähnlichem, sondern sie wollen sich ja hier nur ein besseres Leben machen. Also auch mit diesem Vorwurf spiele ich dabei."

Alltagsrassismus

Im Spiel mit Stereotypen demaskiert der Roman eine fremdenfeindliche Gesellschaft. In Österreich, wo man sich gerne einen "Mohr im Hemd" mit einem "Kleinen Braunen" genehmigt, gilt man als Afrikaner prinzipiell als Drogendealer, als Moslem wird man schnell als Terrorist verdächtigt. Die Angst vor dem Fremden begegnet Ali auf Schritt und Tritt:

Unbequeme Wahrheiten

Alltagsrassismus und Vorurteile werden hier schonungslos karikiert, mit dem engagierten Ziel, Augen für unbequeme Wahrheiten zu öffnen.

"Es ist schlicht und einfach eine Tatsache, dass Österreich längst ein Einwanderungsland ist", so Martin Horváth. "Meiner Ansicht nach wäre es Aufgabe der Politik, den Menschen diese Tatsache näherzubringen und zu versuchen, für die Problembereiche, die es natürlich auch mit dem Thema Zuwanderung gibt, Lösungen zu finden. Was aber stattdessen passiert ist, dass man nicht nur den Kopf in den Sand steckt, sondern völlig erstarrt und nichts tut. Ich würde mir natürlich wünschen, dass man aus dieser Erstarrung erwacht, dass ein Diskurs zu diesem Thema beginnt, der aus diesem Fahrwasser ausbricht, und es wäre schön, wenn dieser Roman einen Beitrag dazu liefern könnte."

Was die Politik nicht leistet, leistet hier die Literatur – ein Verdienst, hinter dem sich auch die literarische Leistung des Buches keineswegs verstecken muss. Denn "Mohr im Hemd" hält seinen einmalig beschwingten Ton, der es dem Autor ermöglicht, treffend und scharf zu hinterfragen, bis zur letzten Seite. Dieses Buch ist ein wahrer Glücksfall für die österreichische Literatur und trägt hoffentlich dazu bei, die Debatte über Zuwanderung und menschenwürdigen Umgang mit Flüchtlingen anzuregen.

Service

Martin Horváth, "Mohr im Hemd oder Wie ich auszog, die Welt zu retten", DVA

DVA - Mohr im Hemd