Zur 1.000. Sendung "Im Gespräch"

Das Radio ist keine Kanzel

Am 6. September sendet Ö1 die 1.000. Ausgabe von "Im Gespräch". Von 1987 bis 2001 leitete Peter Huemer die Redaktion, seit 2003 tut dies Michael Kerbler. Mit ihm hat Philip Scheiner für die September-Ausgabe der Ö1 Clubzeitung "gehört"
zur 1.000. Sendung folgendes Interview geführt.

Philip Scheiner: Welche Frage würdest Du Dir als erste stellen?
Michael Kerbler: "Worauf kommt es im Leben an?" – Diese Frage stelle ich in einigen meiner Gespräche am Schluss.

Worauf kommt es im Leben an?
Ich weiche aus und sage, dass Anna Zablatnik, eine Kärntner Slowenin, die im Widerstand gegen den Faschismus aktiv war, auf diese Frage geantwortet hat: "Sei, was du bist."

Unter welchen Bedingungen kann ein Gespräch gelingen?
Ein Gespräch ist ein Gespräch und kein Interview. Das Interview ist aus einer Lehrfibel über Befragungsmethoden der New Yorker Polizei entstanden – wie kann ich jemandem möglichst effizient die Wahrheit entlocken? Die Voraussetzungen für ein Gespräch sind: Zeit und Vorbereitung. 80 Prozent der Arbeit passieren vor dem Gespräch. Und: Im Gespräch muss sich ein dramaturgischer Bogen über eine Stunde spannen. Beide Gesprächspartner sollten bereit sein, einander zuzuhören, sich zu öffnen. Manchmal ist auch ein kleiner Umweg zielführend. Es gibt wichtige Wendungen in einem Gespräch, die nicht planbar sind. Am Anfang meiner Tätigkeit für "Im Gespräch" hatte ich die Überlegung, meine Fragen möglichst präzise aufzuschreiben. Heute sind es im Wesentlichen Zitate mit Quellenangaben und die Kernfragen, denn ein Gespräch ist immer auch eine Stresssituation.

Bedeutet das Aufregung vor dem Gespräch?
Ja, weil ich nie weiß, wie es laufen wird. Bei Aufzeichnungen vor Publikum weiß ich nie, ob dieses bei bestimmten Fragen auf meiner Seite sein wird oder auf der Seite des Gastes. Es ist auch gut so, dass man eine gewisse Anspannung mitbringt. Ich glaube, sonst wird nichts draus. Ich bin auch als Zuhörer - von Sendungen, die Peter Huemer gemacht hat, Renata Schmidtkunz, Doris Stoisser und andere - immer gespannt, wohin das Gespräch führt. Die Sendungen werden im Prinzip "live to tape" aufgezeichnet, dauern selten länger als die Sendung.

Welche Gesprächspartner/innen haben Dich am stärksten beeindruckt oder sogar verändert?
Bisher habe ich gut 300 Gespräche geführt. Da ist es schwierig, einige wenige Namen zu nennen. Aber zweifelsohne war das Gespräch mit Anna Zablatnik für mich sehr wichtig. Es war das Gespräch mit Brigitte Schwaiger ein ganz wichtiges, weil daraus bis zu ihrem Tod ein Dialog fortdauerte. Dann gibt es so erfrischende Begegnungen wie mit Martin Grubinger, so eindrückliche Begegnungen wie mit Günter Grass oder mit Hans Küng.

Bist Du manchmal unzufrieden mit dem Verlauf oder dem Ergebnis eines Gesprächs?
Ich bin ganz selten wirklich mit mir zufrieden. Das ist keine Koketterie. Im Nachhinein, wenn man entspannt ist, ist es immer leichter zu sagen: Die Frage hätte ich anders stellen müssen. Die Fehler, die mich am meisten ärgern, sind die, wo ich die Grundsünde begangen habe, dem anderen nicht zuzuhören - weil ich vielleicht doch auf den Zettel geschaut habe: Hab’ ich jetzt noch irgendwas vergessen?

Was hat sich an der Sendung in den vergangenen 25 Jahren verändert?
Anzahl und Auswahl der Themen sind globaler, umfassender geworden. Ich glaube, dass es die gesellschaftlichen Veränderungen, insbesondere seit der Jahrtausendwende, erzwingen, die Themen breiter anzulegen. Wenn ich im November mit Daniel Barenboim sprechen werde, wird natürlich die Musik im Mittelpunkt stehen, aber ebenso die Frage, wie es zu einer friedlichen Lösung des israelisch-palästinensischen Konflikts kommen kann und welche Rolle generell der Kunst als Mediator zukommt. Es hängt alles mit allem zusammen - egal, ob es um das Thema Klimawandel geht, um Armut oder Umverteilung. Das spiegelt sich auch in der Auswahl der Gesprächspartner/innen wider. Es gibt Wissenschafts-, Kultursendungen und so weiter - "Im Gespräch" versucht, über mehrere dieser Felder hinweg Menschen als Teil eines gesellschaftlichen Geflechts zu sehen und nicht nur den Fachmann oder die Fachfrau.