Neu aufgelegter Roman von Francois Fejtö

Reise nach Gestern

Nanu, was ist denn das für ein Wechselbalg von Buch? Es beginnt mit dem Besuch eines 26-Jährigen in Zagreb, wo Teile seiner Familie leben. Er schwankt zwischen nostalgischen Gedanken an Kindheitsaufenthalte in der kroatischen Hauptstadt und der Belustigung über die doch recht skurril wirkenden Verwandten.

Diese Familienszenen werden zunehmend durchsetzt mit leichten, zuweilen sogar heiteren Feuilletons über den schon ziemlich grimmigen Nationalismus Mitte der 1930er Jahre in Kroatien. Dann folgen ernsthaftere Abschnitte mit kulturellen Themen und recht stoischen Vorhersagen eines großen Krieges, bevor der Erzähler zum Reisereporter wird, für die Schönheiten der dalmatinischen Küste und ihrer weiblichen Besucher schwärmt. Am Strand findet er nicht weniger als den Seelenfrieden.

Am Ende stehen Fotos mit Erläuterungen, die ihrerseits zwischen Familienalbum und Postkarte, Erinnerungen und Fremdenverkehrsprosa schwanken. Francois Fejtös "Reise nach Gestern" heißt den Leser willkommen und fährt mit seinen Erwartungen Achterbahn.

Sentimentale Reise

Alle Türen und Fenster scheinen in dieser bemerkenswert leichten journalistischen Prosa offen zu stehen, und durch sie hindurch glaubt man in das Innere eines jungen Menschen zu sehen, der sich 1934 in einem viel umfassenderen Sinn auf die Reise gemacht hat, als es zunächst scheint. Denn der ungarische Student Fejtö reist nicht nur aus Budapest zu Verwandten nach Zagreb, er begibt sich auch auf eine "Sentimentale Reise" (so der an Laurence Sternes berühmtes Buch anknüpfende Titel der Erstveröffentlichung 1936), in deren Verlauf er den Kampf für die Weltrevolution zugunsten von Gegenwart und Genuss aufgibt.

Fejtö, eben erst aus dem Gefängnis entlassen, zu dem er 1932 wegen kommunistischer Agitation verurteilt wurde, wird vom Kommunisten zum Sozialdemokraten, für deren Zeitschrift "Népszava" er ab 1934 schreibt. "Reise nach Gestern" birgt auch einen Bildungsroman.

Einkehr in die Vergangenheit

Die Zukunft als "Bürger und Sozialist" gewinnt Fejtö auf unaufdringliche Weise über die Einkehr in die Vergangenheit. Aus Erinnerungen und Gegenwartseindrücken formt er anschauliche Porträts der oft etwas schrulligen Verwandten, unter denen die "heikle", scharfzüngige Tante Jenny, der "Schrecken der Familie", einen unangefochtenen Ehrenplatz einnimmt. Dem Klatsch, den Tante Jenny mit "Omama" pflegte, fehlte "es nicht an einer geradezu künstlerischen Malice (...), einer fast edlen Boshaftigkeit". Fejtö erinnert es genüsslich, wohl wissend, wie hoch er die Messlatte hängt, und er erweist sich ihrer durchaus würdig.

Dann ruft ein Karton mit Briefen der früh verstorbenen und unglücklich verheirateten Mutter bei ihm mit aller Macht ihre zarte Liebesgeschichte mit einem Neffen herauf, und dann ist auch der Großvater nicht mehr fern, ein Unternehmer und Einwanderer "aus dem Westen", der sein "nationales Brauchtum" aufgab und für den Ungar zu sein bedeutete, als "Mitglied einer freundlichen Gemeinschaft" zu leben.

Fejtö erinnert diese postnationalen Haltungen aus der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg, blickt bei seiner zum Christentum konvertierten jüdischen Verwandtschaft in die Gesichter einer "eifrigen und angenehmen Assimiliation" und spricht kurz darauf im Café mit einem Vertreter des in Kroatien grassierenden Nationalismus, der von den Bewohnern des Landes arglos sagt: "Kindern kann man das Ruder nicht überlassen." Fejtö blickt kurz auf, bemerkt knapp, das Café habe sich mittlerweile mit dem "Kindervolk" gefüllt, und fragt weiter.

Leichtigkeit statt Rechthaberei, Ironie statt Ärger herrschen auch, wenn Fejtö über die Wunder trauert, die den Ungarn "nicht gegeben sind: Alpen, Meere, Karstlandschaften, Farben und so preiswerte Umkleidekabinen".

1938 emigriert

"Reise nach Gestern" ist nach zwei Büchern des serbischen Schriftstellers Bora Ćosić ein weiterer Band, der Zagreb vorstellt – die Buchverlage bereiten sich schon mal auf die für Mitte 2013 erwartete EU-Mitgliedschaft Kroatiens vor. Agnes Relle, die Herausgeberin und Übersetzerin von "Reise nach Gestern", möchte viel eher den Autor als linken, jüdischen Europäer ins Gedächtnis rufen. Das würde besser gelingen, wenn das von ihr verfasste Vorwort und Nachwort ebenso vorbehaltlos zu loben wäre wie ihre federnde Übersetzung.

Leider fallen beide Texte sehr karg aus. Immerhin versammelt Relle die Lebensdaten dieses Mannes, der 1938 mit seiner Frau nach Frankreich emigrierte, weil er wegen seiner Kritik am profaschistischen Kurs der Horthy-Regierung erneut inhaftiert werden sollte. Fejtö kämpfte in der Résistance und arbeitete nach dem Krieg als Historiker und Journalist. Fünf seiner mehr als 20 Bücher sind zwischen 1957 und 1993 auf Deutsch erschienen. Sie handeln vom Doppelkönigreich Österreich-Ungarn, dem ungarischen Aufstand 1956, dem Judentum und von den östlichen Volksdemokratien. Francois Fejtö, der 2008 starb, war ein Intellektueller aus der Generation von Stéphane Hessel, für die Europa kein Thema von Sonntagsreden war.

Service

Francois Fejtö, "Reise nach Gestern", aus dem Ungarischen übersetzt und herausgegeben von Agnes Relle, Matthes & Seitz

Matthes & Seitz - Reise nach Gestern