Wird Israel den Iran angreifen?

Ein möglicher Angriff auf den Iran ist in Israel seit einigen Wochen wieder das dominante Thema. Die Führung hat wachsende Ungeduld signalisiert. Zugleich gibt es in Israel und von außen viele Stimmen, die vor den Folgen eines Militärschlags warnen.

Mittagsjournal, 01.09.2012

Angriff nur Drohung?

Will Israel wirklich schon in diesem Herbst die iranischen Nuklearanlagen angreifen oder möchte es die Welt damit alarmieren? Die Angriffsdrohungen scheinen jedenfalls glaubwürdig zu sein, wenn man die Nervosität zum Maßstab nimmt, die in Zurufen an die israelische Führung zu spüren ist. Einer israelischen Zeitung zufolge hat die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel vor rund zehn Tagen Premier Benjamin Netanjahu angerufen und ihm eindringlich nahegelegt, jetzt noch nicht anzugreifen, sondern die Sanktionen gegen den Iran weiter wirken zu lassen.

Eine andere israelische Zeitung hat erfahren, dass es zu einem hitzigen und undiplomatischen Wortwechsel zwischen Netanjahu und dem US-Botschafter in Israel gekommen sei. Netanjahu habe sich dabei bitter darüber beschwert, dass Präsident Barack Obama Druck auf Israel ausübe statt härter gegen den Iran vorzugehen. „Die Zeit läuft aus“, habe Netanjahu dabei wörtlich gesagt. Fast gleichzeitig hat der amerikanische Armeechef Martin Dempsey wieder gebremst: "Die Israelis können das iranische Nuklearprogramm vielleicht verzögern, aber nicht stoppen", so Dempsey kühl in einem Interview für eine britische Zeitung.

General: "Bereiten Militärschlag vor"

In Israel selbst ist das Thema schon oft und so ausführlich debattiert worden, dass man kaum noch hinhören will, obwohl oder weil die Entscheidung so furchtbare Folgen für jeden einzelnen haben könnte. Israel brauche eine felsenfeste Garantie von Obama, dass die USA eine iranische Atombombe verhindern würden, sagt der Reservegeneral Usi Dayan, ein früherer Chef des Rats für Nationale Sicherheit: "Wir bereiten unseren Militärschlag vor, aber wir haben noch nicht beschlossen, ihn durchzuführen. Es gibt zwei verschiedene Uhren, eine israelische und eine amerikanische. Wenn wir angreifen, macht es einen großen Unterschied, ob wir das jetzt tun oder in einem Jahr. Die USA können warten bis 2013, weil sie über eine lange Zeitstrecke angreifen können, sehr massiv, mit vielen Flugzeugen."

Aber ob es nun Militärexperten sind oder Journalisten, prominente Schriftsteller oder Durchschnittsbürger - was wirklich geschehen wird und was die Auswirkungen wären, wenn Israel angreift oder aber nichts tut, das kann ohnehin niemand wissen. Manche Israelis holen sich jetzt neue Gasmasken von den Verteilungszentren ab, obwohl keine Rede davon ist, dass der Iran chemische Waffen einsetzen würde.

Bevölkerung verunsichert

Wegen des vielen Geredes über einen Krieg besorgt Zofia Ginat ein Schutzset für ihre zwei Monate alte Enkelin: "Es gibt einen Druck wegen dieser ganzen Situation. Ich glaube, es wird etwas passieren, ich bin wirklich beunruhigt." Auch Rivi Gefen holt Gasmasken für die ganze Familie: "Warum jetzt? Weil mein Sohn es gesagt hat. Ich hätte keine geholt, die würden ja nichts helfen. Wenn eine Rakete herunterkommt, bin ich tot, da hilft mir die Maske auch nicht."

Über einen Angriff wird letztlich Netanjahu entscheiden, aber er würde dafür auch eine Mehrheit im inneren Kabinett brauchen und hier scheint es einen ungefähren Stimmengleichstand zu geben. Zuletzt hat die streng religiöse Schass-Partei signalisiert, dass sie gegen eine Militäraktion ist. Ihr geistliches Oberhaupt, ein neunzig Jahre alter Rabbiner, meint, dass es zu viele Opfer unter der Zivilbevölkerung geben würde. In ihren Warnungen vor iranischen Kernwaffen fühlt sich die israelische Führung aber jetzt durch den jüngsten Bericht der Atombehörde in Wien wieder bestätigt. Und die Israelis sind empört, weil das Ayatollah-Regime jetzt durch den Blockfreien-Gipfel in Teheran aufgewertet worden sei. Ende September will Netanjahu in einer großen Rede vor der UN-Vollversammlung in New York noch einmal die Welt vor dem Iran warnen. Bis dahin zumindest wird offenbar kein Krieg ausbrechen.

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