Großbritannien: Regierung unter Druck

Die schrumpfende Wirtschaft setzt den britischen Premierminister David Cameron immer stärker unter Druck. Große staatliche Investitionsprojekte werden gefordert. Bisher waren die Konservativen strikt gegen eine dritte Landebahn für den Flughafen Heathrow. Nun lässt Cameron einen möglichen Ausbau prüfen.

Morgenjournal, 8.9.2012

Heathrow-Ausbau "vielleicht doch"

In Heathrow startet und landet alle 90 Sekunden ein Flugzeug. Die Lärm geplagten Anrainer in den wohlhabenden Gegenden im Südwesten Londons haben bei der letzten Wahl konservativ oder liberaldemokratisch gestimmt, in der Annahme, dass mit der Koalitionsregierung Cameron/Clegg der Flughafenausbau endlich vom Tisch ist. Der wirtschaftliche Sinkflug scheint beim Premierminister einen Meinungsumschwung zu bewirken. Das kategorische Nein zum Heathrow Ausbau wird nach zweieinhalb Jahren im Amt zu einem "vielleicht doch". Adam Marshall von der britischen Handelskammer sagt, die Wirtschaft brauche die nötige Infrastruktur um international Geschäfte zu machen, dazu gehöre ein ausgebauter Flughafen Heathrow. "Wir brauchen Verbindungen zu den Schwellenländern, damit wir mit ihnen handeln können. Im Moment verlieren wir diese Verbindungen das keine Strategie für zukünftiges Wachstum", meint Marshall.

Gut für den Handel, schlecht für die Umwelt

Nach einem Bericht, in Auftrag gegeben von Heathrow Betreiber BAA, ist das Handelsvolumen mit Ländern mit täglichen Flugverbindungen 20 Mal größer als bei unregelmäßig angeflogenen Destinationen. Nach diesem Bericht würde die britische Wirtschaft jährlich rund zwei Milliarden Euro mehr verdienen, wenn es mehr Routen in Schwellenländer geben würde. Jenny Bates von der Umweltorganisation "Friends of the Earth" sagt, ein Ausbau würde nicht mehr Geschäft, sondern nur größeren Schaden für die Gemeinschaft bedeuten: "Viele Häuser würden zerstört, die Treibhausgas- und Lärmbelastung sowie die Luftverschmutzung würden steigen, wir können uns das nicht leisten."

Londons Bürgermeister hat andere Pläne

Zu den erbitterten Gegnern des Heathrow Ausbaus gehört auch der Londoner Bürgermeister und Camerons Parteifreund Boris Johnson. Dieser argumentiert: "Das wäre ein grundlegender Fehler. Der Ausbau ist nicht machbar und würde großen Schaden an der Umwelt anrichten – nicht nur in Westlondon, sondern in der ganzen Stadt. Es gibt viel bessere Lösungen, die langfristig Arbeitsplätze und Wachstum schaffen." Der mächtige Rathaus Chef hat ein wesentlich ehrgeizigeres Projekt im Kopf. Er will einen integrierten Flughafen und Schnellbahnhof an der Themsemündung östlich von London bauen. Der Flughafen wäre 60 Kilometer von der Innenstadt entfernt. Die Kosten des Projekts werden mit bis zu 80 Milliarden Euro veranschlagt. Johnson ist seit der erfolgreichen Ausrichtung der Olympischen Spiele im Höhenflug und wird sogar als nächster Regierungschef gehandelt. Er ist der Meinung, Großbritannien könne locker so ein Großprojekt realisieren, die Olympischen Spiele seien der beste Beweis. Wirtschaftswissenschafter Peter Morris spricht von einer weitreichenden strategischen Entscheidung: "Geografisch gesehen war Heathrow von vornherein nicht der beste Ort für das Flughafen Drehkreuz. Die Frage ist, ob man den Mut hat, die bisherigen Überzeugungen über Bord zu werfen und sich neue, größere Gebiete in London mit guten Nahverkehrsverbindungen anzuschauen."

Premierminister David Cameron lässt alle Möglichkeiten prüfen. Das Ergebnis soll aber erst nach der Wahl 2015 vorliegen. Die Liberaldemokraten in der Koalition würden eine dritte Landebahn nicht mittragen. Ohne wirtschaftlichen Aufschwung wird es aber vermutlich auch keine zweite Amtszeit für David Cameron in der Downing Street geben.