Das rote Fahrrad
Unter dem Titel "Das rote Fahrrad" ist das Tagebuch von Éva Zsolt nun erstmals auf Deutsch erschienen. Es ist das erste Buch des jungen Wiener Nischen Verlags, der es sich zur Aufgabe macht, unbekannte Autorinnen und Autoren aus Ungarn ins Deutsche zu übersetzen.
8. April 2017, 21:58
Kulturjournal, 13.9.2012
Gerade einmal über vier Monate reicht die Zeitspanne, in der die dreizehnjährige Éva Zsolt dem Tagebuch ihre Erlebnisse und Befindlichkeiten, ihre Hoffnungen und Ängste anvertraut. Sie stellt viele Fragen und versucht das Schreckliche, das um sie herum geschieht, zu verstehen. Immer wieder kommt sie etwa auf ihre beste Freundin zurück, die schon vor Monaten abtransportiert und, wie es heißt, nach Polen gebracht wurde.
Eines Tages beschlagnahmt die Polizei Évas rotes Fahrrad - eine Begebenheit, die symbolisch ist für die Entwürdigung und Entrechtung, die das Mädchen und seine Familie erleiden. Évas Aufzeichnungen enden zu dem Zeitpunkt, als sie selbst - von Mutter und Stiefvater getrennt - aus dem Ghetto von Várad abtransportiert und nach Auschwitz deportiert wird. Kurz zuvor habe sie ihr Tagebuch dem Kindermädchen anvertraut, erklärt der Journalist Paul Lendvai.
Debüt des Nischenverlags
1947 erschien Évas Tagebuch auf Englisch und Hebräisch, versehen mit einer Einleitung von Évas Mutter, der Journalistin Ágnes Zsolt. Sie hatte den Holocaust überlebt; von Schuldgefühlen geplagt, beging sie 1951 Selbstmord. Das Buch geriet im kommunistischen Ungarn in Vergessenheit und blieb infolgedessen auch im deutschen Sprachraum unbekannt. Nun erscheint es erstmals in deutscher Übersetzung - als erstes Buch des jungen Nischenverlags, der es sich zur Aufgabe macht, ungarische Autorinnen und Autoren im deutschen Sprachraum bekannt zu machen. Im Frühsommer dieses Jahres hat Zsóka Lendvai, Ehefrau von Paul Lendvai und langjährige Verlegerin in Ungarn, den Nischenverlag gegründet.
Eine Art ungarischer Ernst Jandl
So wird als nächstes unter dem Titel "Der Verruf" ein Roman von György Spiró erscheinen - die Geschichte eines Antihelden, der die entscheidenden Tage des Ungarn-Aufstands von 1956 im Spital verbringen muss und dennoch in eine bedrohliche Situation gerät. Und als drittes Buch präsentiert der Nischen Verlag schließlich den Dichter, Romancier und Dramatiker Lajos Patri Nagy mit dem Erzählband "Der wogende Balaton". Nagy sei ein Sprachkünstler, eine Art ungarischer Ernst Jandl, wie es die Verlegerin Zsóka Lendvai ausdrückt.
Da die Übersetzungsleistung ins Deutsche für den Erfolg des Nischen Verlags naturgemäß ausschlaggebend ist, wird der jeweilige Übersetzer im Buch mit einem Foto präsentiert. Dass das Projekt einen großen Gewinn abwerfen wird, erwarten die Lendvais freilich nicht.
Die nächste Gelegenheit, den Nischenverlag und seine Autoren näher kennenzulernen, besteht am 4. Oktober: Im Literarischen Quartier Alte Schmiede werden die beiden genannten Neuerscheinungen "Der Verruf" und "Der wogende Balaton" präsentiert.
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