Das ORF musikprotokoll im steirischen herbst 2012
Fotoblog aus Graz
Das traditionsreiche ORF-Festival für die Musik der Zeitgenoss/innen bracht heuer mit einigen seiner Traditionen: Statt ganzer Konzerte in verschiedenen Konzertsälen der Stadt konzentrierte sich das Geschehen (fast) auf die Räumlichkeiten des heurigen Festivalzentrums des steirischen herbstes in und rund um die "Thalia". Und fast alle Konzerte und Lectures gab es hier im Live-Videostream zu sehen.
8. April 2017, 21:58
Eine Taste - 3 Töne
Das musikprotkoll 2012 stand unter dem Titel Enharmony. Eine enharmonische Verwechslung: Das ist ein musikalischer Fachausdruck für ein merkwürdiges Phänomen.
Enharmony bedeutet, dass ein und derselbe Ton verschiedene Bezeichnungen hat, dass ein "Cis" zugleich ein "Des" ist und sogar auch noch ein "Hisis". Sie klingen am Klavier alle komplett gleich, es bleibt immer dieselbe Klaviertaste, aber sie heißen nicht nur verschieden, sondern, um genau zu sein, sie sind drei verschiedene Töne. Das liegt am Kontext. Und deswegen führte dieses Phänomen mitten ins Thema des heurigen musikprotokoll-Mottos und dessen Anbindung ans ECAS Netzwerkthema "Bridging": Dass ein und derselbe Klang, Ton oder auch Stille jeweils etwas ganz anderes bedeuten kann, je nachdem über welche - metaphorisch gesprochen - Brücke man zu ihm kommt, macht den Unterschied, war die Herausforderung.
Die enharmonische Verwechslung ist also eine Metapher dafür, dass in Musik und Theorie bei diesem musikprotokoll immer wieder einmal damit gespielt wird, dass Ein und dasselbe zugleich vieles Verschiedenes ist und dass das manchmal von gar keiner Wichtigkeit, manchmal aber geradezu der sinngebende Aspekt einer Musik, eines Denkens, des Umgangs mit dem Klang in der Welt sein kann, manchmal eben auch mit der politischen Bedeutung des Umgangs mit Klang. Auf Englisch heißt diese Verwechslung etwas nüchterner "enharmonic relation". Mit der Harmonie, möglicher Disharmonie und dem produktiven Missverstehen spielend war dieses Festival 2012 also mit "Enharmony" umschrieben.
Regionale und internationale Produktionen
Micro-Lectures gab es quer durch das Programm, dessen Kern natürlich die Musik war - Musik in den verschiedensten Formen: Als Klanginstallationen von Reni und Jogi Hofmüller und deren Freunden sowie von Anke Eckardt, als Konzerte des Arditti Quartetts und der Ensembles Cantus und Zeitfluss, als Konzertperformance von Boris Hegenbart mit Gästen, als elektroakustische Komposition von Daniel Lercher für die benachbarte Heilandskirche, als Triokonzerte von Lehn/Noetinger/Lercher und von Trapist, auch als DJ-Reihe zur Eröffnung jedes Tages samt finalen elektronischen Experimenten in den drei ICAS-Reihen Antichambre, Kitchen und Bar.
Ineinander verwoben waren damit regionale und internationale Produktionen als glitzernde Fäden einer bemerkenswerten Kooperation, an der das musikprotokoll seit Jahren beteiligt ist: das internationale Festival-Netzwerk European/International Cities of Advanced Sound, kurz ECAS/ICAS. Dieser großflächige und EU-geförderte internationale Austausch von experimentellen Musikformen, an dem Festivals aus unter anderem Norwegen, Deutschland, Serbien, England, Litauen, Kanada, Uruguay teilnehmen, prägte und rahmte das heurige musikprotokoll.