Über Marx und Marxismus

Wie man die Welt verändert

Der Historiker Eric Hobsbawm hat sich einen Namen gemacht als Experte für die Arbeiterkultur des 19. und 20. Jahrhunderts. Nun liegt von dem mittlerweile 95-Jährigen ein neues Buch vor, eine Aufsatzsammlung mit dem Titel "Wie man die Welt verändert. Über Marx und den Marxismus".

Bernstein gegen Lenin - so hieß das große Match am Vorabend des Ersten Weltkriegs. Trat der deutsche Sozialdemokrat Eduard Bernstein für einen reformistischen Weg in Richtung Sozialismus ein - mit strikter Beachtung parlamentarisch-demokratischer Spielregeln - setzte der russische Adelsspross Vladimir Illjitsch Lenin auf Gewalt und revolutionären Terror. Der Fall des Eisernen Vorhangs und der Siegeszug des globalisierten Kapitalismus seit den 1980er Jahren haben beiden Konzeptionen den Garaus gemacht, stellt Eric J. Hobsbawm in seinem Buch mit sentimenalitätsloser Sachlichkeit fest. Denn nicht nur der Kommunismus sei den Weg alles Irdischen gegangen, auch der demokratische Flügel der internationalen Arbeiterbewegung - genannt Sozialdemokratie - sei, gemessen an früheren Ansprüchen, nicht mehr als ein lebender Leichnam.

Niedergang der Sozialdemokratien

1983 bis 2008: in dieser historischen Phase sei die Arbeiterbewegung des Zwanzigsten Jahrhunderts von den Mühlsteinen der Geschichte zermalmt worden, postuliert Hobsbawm. Die Auflösung des fordistischen Paradigmas, die Flexibilisierung der Arbeitswelt, die kulturelle Hegemonie des Neoliberalismus - Stichwort: Shareholder Values - all das hätte in den entwickelten Ländern des Westens eine breite gesellschaftliche Entsolidarisierung mit sich gebracht.

Nicht nur die kommunistischen Diktaturen seien in den 80er Jahren zusammengebrochen, auch die Sozialdemokratie in Westeuropa habe Jahrzehnte des kontinuierlichen Niedergangs hinter sich. Von der Erreichung des Sozialismus als politisches Fernziel sprechen heute nicht einmal mehr die störrischsten Linken in der SPÖ; dass sich ASKÖ und Naturfreunde, altehrwürdige Säulen der sozialdemokratischen Lebenskulturbewegung in Österreich, demnächst aus der Partei verabschieden wollen, passt ins Bild.

Nur mehr leere Hüllen

Die österreichische, die deutsche, die britische und niederländische, vor allem auch die ruhmreiche schwedische Sozialdemokratie sind nur mehr leere Hüllen, Traditionsverwaltungsparteien mit reichem Erbe und - gemessen an früheren Ansprüchen - trostloser Gegenwart.
Dann aber kam das Jahr 2008. Im Crash der Lehman-Brothers und der darauf folgenden Weltfinanzkrise ortet Hobsbawm ein neues historisches Moment.

Auch wenn die demokratischen Arbeiterbewegung, die den Höhepunkt ihrer Macht Hobsbawm zufolge in den 1970er Jahren erreicht hat, europaweit in der Defensive ist: Hobsbawm diagnostiziert eine Renaissance altbekannter Fragestellungen.

Dabei darf man die Arbeiterbewegung des 20. Jahrhunderts im reminiszierenden Überschwang auch nicht stärker machen als sie war: Zu keinem Zeitpunkt bekannten sich in irgendeinem Land Westeuropas wesentlich mehr als fünfzig Prozent der Bevölkerung zu den Zielen der sozialdemokratischen und/oder reformkommunistischen Linken, wie Hobsbawm mit leidenschaftsloser Nüchternheit festhält.

Fazit

Trotz erhellender Einsichten dann und wann: Im Großen und Ganzen ist Hobsbawms Buch eine Enttäuschung. Vielleicht liegt es daran, dass der Hanser-Verlag den Band überverkauft hat - mit poppigem Che-Guevara-Cover und dem bombastischen Titel "Wie man die Welt verändert - Über Marx und den Marxismus".

Dabei besteht der Band zum überwiegenden Teil aus Aufsätzen, die Hobsbawm in den 70er und 80er Jahren für eine mehrbändige Marxismus-Edition des Enaudi-Verlags geschrieben hat, ergänzt durch Texte und Essays, die der Doyen der marxistischen Geschichtswissenschaft in Großbritannien für diverse Tagungen und Kongresse zu Papier gebracht hat.

Zudem lesen sich die meisten Texte uninspiriert und schnell heruntergeschrieben. Das gilt auch für jene Passagen, die sich mit dem angeblichen Comeback des Marxismus nach dem Ende des marktradikalen Paradigmas beschäftigen.

Das mag schon sein, aber man würde es gern genauer wissen. Dass Marx an Aktualität gewinne, behaupten ja viele, von Liessmann bis Eagleton, aber was das konkret bedeuten könnte, welches historische Subjekt etwa im digitalisierten Kapitalismus etwa an die Stelle der alten, organisierten Arbeiterbewegung treten könnte und auf welche Weise sich die Marxsche Arbeitswerttheorie, um ein anderes Beispiel zu nennen, im Lichte der modernen Informationsgesellschaft interpretieren ließe - auf Fragen wie diese bleibt Hobsbawm eine Antwort schuldig. Stattdessen: volltönende Phrasen.

Was er damit konkret meint: darüber gibt Eric J. Hobsbawm keine Auskunft.

Service

Eric Hobsbawm, "Wie man die Welt verändert": Über Marx und den Marxismus, aus dem Englischen von Andreas Wirthensohn und Thomas Atzert übersetzt, Hanser Verlage

Hanser Verlage - Wie man die Welt verändert